Görlitzer Altstadt ein "gefährlicher Ort"?
Görlitz, 18. Juli 2018. Das ist eine jener Meldungen, bei denen man sich überlegt, ob sie überhaupt im Görlitzer Anzeiger eine Bühne erhalten sollen: Die Görlitzer Altstadt sei ein "gefährlicher Ort", soll die Polizeidirektion Görlitz eingeschätzt haben. Görlitzer Altstadtbewohner wie Mike Altmann halten das für Unfug: Kleinkriminalität in Grenznähe mache noch keinen gefährlichen Ort. Allerdings könnten solche Einschätzungen Gäste vergraulen und "besorgte Einheimische" noch besorgter machen.
Abbildung: Die Justitia am Görlitzer Rathaus ist wachen Auges – ohne Augenbinde
Mehr Polizei und Polizeirechte als Heilmittel?
Der Görlitzer Landtagsabgeordnete, Stadtrat und Kreisrat Mirko Schultze (Linkspartei) hat einen Artikel der Sächsischen Zeitung vom 18. Juli 2018, der unter der Überschrift "Wo Sachsen am gefährlichsten ist" erschienen ist, zum Anlass genommen, sich zur Ausweisung der Görlitzer Altstadt als "gefährlichen Ort" durch die Polizeidirektion Görlitz äußern: "Wenn man lange genug etwas behauptet, wird es schon wahr werden, so oder so ähnlich scheint die Denkweise in der sächsischen Polizei und im Speziellen in der Polizeidirektion Görlitz zu sein. Wer die Görlitzer Altstadt kennt, kann nur zum Schluss kommen: Es gibt noch eine zweite Görlitzer Altstadt, von der die Polizei hier spricht."
Schultze glaubt, mit dem Konstrukt der "gefährlichen Orte" sollen vor allem neue polizeiliche Maßnahmen, weitere Einschränkungen der Freiheitsrechte und erweiterte Polizeibefugnisse gerechtfertigt werden. Er sagt: "Das neue Polizeigesetz mit seinen besonderen Kontroll- und Erfassungsmöglichkeiten im grenznahen Raum, auch in Görlitz, wird ja nur akzeptiert werden, wenn genug Angst vor Kriminalität herrscht und das subjektive Sicherheitsempfinden schlecht ist." Schultze ruft den Oberbürgermeister von Görlitz auf, sich mit dem Polizeipräsidenten in Verbindung zu setzen und klare Worte zu finden. Die Anziehungskraft der sich entwickelnden, attraktiven Görlitzer Altstadt dürfe nicht durch Panik mache zerstört werden.
Andere sehen das anders: Erst vor wenigen Tagen hatte der innenpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag Sebastian Wippel eine zusätzliche Polizei-Hundertschaft für Görlitz gefordert. Nur so sei ein "effektives Vorgehen zur Sicherung unserer Grenze vor illegaler Einwanderung und Kriminalität möglich". Wippel setzt mit dem geforderten Mehr an Polizei darauf, dass "bei der Schleierfahndung lange Dienstwege entfallen".
Mehr:
Der MDR hat die gefährlichen Orte in Sachsen aufgelistet
Kommentar:
Wer sich in der Görlitzer Altstadt nicht sicher fühlt, muss sich die Frage gefallen lassen: Wo dann? Möglicherweise ist "gefährlicher Ort" ganz einfach ein höchst unglücklich gewählter Begriff dafür, dass eine Stadt wie Görlitz, die sich gar nicht mehr als Grenzstadt, sondern gemeinsam mit dem polnischen Zgorzelec als völkerverbindende Stadt sieht, natürlich für kleinere und größere Ganoven ein reizvoller Ort ist – eine Gefährdung für Leib und Leben, wie sie ein "gefährlicher Ort" vermuten lässt, sehe ich jedoch nicht. Der Begriff "gefährlicher Ort" kommt im Sächsischen Polizeigesetz nicht einmal vor. Vielleicht orientiert sich die Polizei bei der Definition gefährlicher Orte an den Gesetzesvorschriften zur Identitätsfeststellung, wie der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion im Landtag zu entnehmen ist.
Wie in jeder Touristenstadt sollte man in Görlitz auf Tasche und Portemonnaie aufpassen. So etwas muss man nicht betonen, eher: Im Vergleich zu den großen Metropolen kann Görlitz in der Kleinkriminalität wohl überhaupt nicht mithalten. Klar ist Einheimischen zu raten, Haus und Keller gut zu sichern – wer hier aber mit den Ängsten der Bürger spielt sollte sich mal in Großstädten umhören, wo Einbruchsdiebstähle im großen Stil organisiert werden. Die polizeiliche Kriminalstatistik des Jahres 2017 für die Landkreise Görlitz und Bautzen jedenfalls konstatiert erneut den tiefsten Stand der Kriminalitätsbelastung seit zehn Jahren und ebenfalls erneut einen Rückgang der Eigentumskriminalität. Auch in den Städten und Gemeinden mit Grenzbezug sind Einbrüche und Diebstähle insgesamt rückläufig, wenn auch örtliche Schwerpunkte herausstechen. Polizeipräsident Torsten Schultze fasst zusammen: "Die belastbaren Fakten der Polizeilichen Kriminalstatistik zeigen ein anderes Bild der Lage, als das, was ich in Gesprächen mit Bürgerinnen und Bürgern unserer Region häufig zu hören bekomme. Deren Wahrnehmung scheint zu sein, dass in den zurückliegenden Jahren alles nur 'schlimmer' geworden sei, insbesondere seit Öffnung der Grenzen zu unseren polnischen und tschechischen Nachbarn. Doch das Gegenteil ist der Fall: Als die Grenzen noch geschlossen waren, wurde in unserer Region weit mehr gestohlen und häufiger eingebrochen als heutzutage - nur scheinen diese Fakten aus den Erinnerungen verschwunden zu sein. Darum werden wir in Zukunft noch mehr auf die Erfolge unserer polizeilichen Arbeit hinweisen. Unsere Botschaft ist: Die Bürgerinnen und Bürger können in der Oberlausitz sicher leben."
Fazit: Eine durchsetzungsfähige Polizei wird gebraucht. Aber mit einem ausufernden Polizei- und Überwachungsstaat werden Problemursachen nicht bekämpft, sondern eine Kluft zwischen Staat und Bürger aufgerissen und vertieft. Das kann nicht im Interesse der Demokratie sein,
meint Ihr Thomas Beier



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- Quelle: red | Kommentar: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 18.07.2018 - 15:05Uhr | Zuletzt geändert am 18.07.2018 - 17:28Uhr
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