Die Europastadt noch stärker zur Normalität werden lassen

Die Europastadt noch stärker zur Normalität werden lassenGörlitz, 29. Juli 2022. Von Thomas Beier. Vor zwei Wochen meldete der Görlitzer Anzeiger die Gründung des Business Circle Görlitz-Zgorzelec. Das ist ein Gemeinschaftsprojekt des Allgemeinen Unternehmerverbands Görlitz (AUV) und ded Arbeitgeberverbandd der Region Zgorzelec (Związek Pracodawców Powiatu Zgorzeleckiego, kurz ZPPZ). Das ist ein guter Schritt in Richtung zur weiteren wirtschaftlichen Verflechtung – auch zum Wohle der Verbraucher auf beiden Seiten der Neiße.

Abb.: In vielen mit öffentlichen Mitteln bezuschussten Projekten wird noch immer von "grenzüberschreitend" gesprochen. Kann man die Grenze im Kopf besser dokumentieren?
Archivbild: © Görlitzer Anzeiger
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Von Einzelinitiativen aus der Wirtschaft zur vernetzten Zusammenarbeit

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Zum Altstadt- und Jakubyfest vom 26. bis zum 28. August 2022 werden Görlitz und Zgorzelec wieder besonders nah zusammenrücken – so, wie es an jedem Tag, auch wenn gerade einmal nicht gefeiert wird, sein sollte
Archivbild: © Görlitzer Anzeiger

Bislang war die Situation der deutsch-polnischen beziehungsweise polnisch-deutschen Zusammenarbeit vor allem von der Initiative einzelner Unternehmerinnen und Unternehmer geprägt. Dabei ist sicher nicht abzustreiten, dass die Polen, wenn’s um Geschäft geht, oftmals die Fichelanteren sind – der Ur-Sachse sagt dazu "fischelant".

Doch auf der Ebene der Unternehmen unterscheiden sich die Kulturen teils deutlich: Während deutsche Unternehmen eine Geschäftsanbahnung oftmals sehr förmlich angehen, erweisen sich die polnischen Partner als geborene Geschäftsleute, weil sie Nebenaufwand, der am Ende vielleicht doch zu nichts führt, scheuen.

Oft läuft es so: Man trifft sich – und wenn die Chemie und die geschäftlichen Interessen ausreichend übereinstimmen, fängt man an, ganz nach jenem Motto, wonach das Kriterium der Wahrheit die Praxis ist. Wer jedoch auf deutscher Seite gewohnt ist, detaillierte Angebote zu kalkulieren und aufzuschreiben, um alles dann Punkt für Punkt zu verhandeln, muss sich erst daran gewöhnen, wenn der Partner von der anderen Seite der Neiße Vertrauen investiert und an einem bestimmten Punkt sagt: "Gut, machen wir!"

Hoffnung auf Wachstum vor Ort

Nun also hat die Zusammenarbeit – die übrigens auf der Ebene der deutschen und der polnischen Stadtverwaltungen schon längst recht gut läuft – endlich auch zwischen den Organisationen der Unternehmer eine Qualität erreicht, die zur Gründung des Business Circle führte und damit auf einen weiteren Zuwachs an Kooperationen, Liefer- und Handelsbeziehungen hoffen lässt.

Bereits diese Hoffnung drückt aus: Es ist noch gewaltig Luft nach oben und die Zusammenarbeit könnte schneller vorankommen. Zur Wahrheit gehört eben auch, dass es auf deutscher Seite immer noch Vorbehalte gibt, besonders in Hinsicht auf Qualität und Liefertreue. Auch hier gilt, dass erst die praktisch gelebte Geschäftsbeziehung aussagekräftig und zugleich die Grundlage für wachsendes Vertrauen ist.

B2C: Wenn Privatkunden Unternehmen vom anderen Neißeufer beauftragen

Ein weiterer Bereich ist die Beauftragung polnischer Unternehmen durch Privatpersonen auf deutscher Seite. Das kommt noch vergleichsweise selten vor, obgleich doch die Umstände dafür sprechen. Einesteils frequentieren viele Görlitzerinnen und Görlitzer die Super- und Baumärkte in Zgorzelec, wobei für viele nicht in allererster Linie die Preise im Vordergrund stehen, sondern die andere Markenwelt und auf Görlitzer Seite nicht verfügbare Produkte.

Im Gegensatz zu dieser Normalität, den Einzelhandel in Polen aufzusuchen, wird andererseits das polnische Handwerk bei weitem nicht so stark in Anspruch genommen – und das, obwohl viele Handwerksbetriebe auf deutscher Seite vor allem aus Personalnot heillos überlastet sind. Nun hoffen polnische Unternehmen, dass ähnlich wie beim Business Circle der Unternehmer auch unter den deutschen und polnischen Privatkunden der 360-Grad-Kreis endlich erkannt und geschlossen wird.

Handwerkserzeugnisse aus Polen

Eine Gelegenheit dafür bieten etwa polnische Handwerkserzeugnisse, vom Kunsthandwerk bis zum soliden Metallbau. Auch hier sind es immer wieder polnische Firmen, die den aktiven Part übernehmen und beispielsweise in den Dörfern in der Görlitzer Region Prospektmaterial verteilen, etwa über Metallzäune aus Polen, selbstverständlich mit passenden Toren und allem Zubehör. Für viele Kunden ist es beruhigend, wenn die polnischen Hersteller beziehungsweise Anbieter die Lieferung nach deutschen Qualitätsstandards zusagen, denn damit ist schon einmal grundsätzlich die Haltbarkeit beim Zaun aus Polen – bei qualitativ hochwertiger Ausführung feuerverzinkt und pulverbeschichtet – garantiert.

Ein kaum minder wichtiges Kriterium ist das Design: Hier punkten viele polnische Hersteller von Metall- und Schmiedezäunen mit einer Vielfalt, die von klassisch-traditionell angelehnt an den Stil der Gründerzeit über die Moderne bis hin zur verspielten oder zum futuristischen Gestaltung reicht. Wer so einen Zaun aus Polen kaufen möchte, hat also unter Umständen erst einmal die Qual der Wahl – alles andere sind Formalitäten.

Unterm Strich

Wenn sich Görlitz und Zgorzelec ganz im Sinne der Europastadt auch als wirtschaftliche Einheit verstehen, können beide Städte gemeinsam ihre jeweiligen Randlage entfliehen und ihre jeweiligen Stärken noch besser ausspielen. Vieles ist im Zusammenleben schon Alltag: Arbeit, Kinderbetreuung, Einkauf. Umso mehr sich das Zusammenleben auf alle Lebensbereiche erstreckt, desto besser ist es für alle Einwohner der gesamten Region Görlitz-Zgorzelec.

"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!", sagt das Sprichwort – und ganz in diesem Sinne sind alle Einwohnerinnen und Einwohner der Europastadt Görlitz-Zgorzelec längst in der Lage, den Europagedanken zu Leben und auch im Dienstleistungs- und Handwerkssektor Normalität werden zu lassen.

Kulturzuschlag:
Wie Polen arbeiten

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  • Quelle: TEB | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 29.07.2022 - 17:33Uhr | Zuletzt geändert am 29.07.2022 - 18:18Uhr
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