"Ich bin ein Staatsfeind."

Bonn | Frankfurt am Main, 24. Juli 2006. "Der dressierte Bürger. Warum wir weniger Staat und mehr Selbstvertrauen brauchen." ist der Titel des jüngsten Buches von Reinhard K. Sprenger. Der Managementberater fasst zusammen, was Deutschland gut täte.

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Reinhard K. Sprenger sieht die "Politiker-Kaste" als das Problem

Während insbesondere in den asiatischen Staaten nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Zuversicht und Ehrgeiz immer weiter zunehmen, verharrt Deutschland in der Stagnation. Die national gefärbte Aufbruchstimmung zur Fußball-WM war wohl eher eine gefühlte, keine reale, um eine moderne Ausdrucksweise zu benutzen. Das vorsichtige Wirtschaftwachstum - nein, auch da geht es nicht so richtig voran.

Über den Skandal von fünf Millionen Arbeitslosen regt sich so recht keiner mehr auf. Und das ist nach Ansicht vieler Beobachter das wirklich Beunruhigende an der derzeitigen Situation. Wie die "Welt" berichtet, profitieren nur die Weiterbildungsinstitute von Arbeitgebern und Gewerkschaften von der hohen Arbeitslosigkeit. Aus dem Etat der damaligen Bundesanstalt für Arbeit wurden zeitweise bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr für Arbeitsmarktpolitik ausgegeben.
Fazit: Deutschland hat am meisten für Arbeitsmarktpolitik ausgegeben, jedoch die wenigsten Erfolge erzielt. Der Instrumentenkasten der meisten Politiker scheint leer oder ausgereizt zu sein. Alle Vorschläge liegen auf dem Tisch: Unternehmenssteuern runter, Kündigungsschutz lockern, Tarifrecht ändern, mehr Unternehmergeist fördern, in Bildung und Infrastruktur investieren und die Sozialetats beschneiden. Die alten sozialdemokratischen Ladenhüter wie die Forderung nach der Stärkung der Binnennachfrage locken kaum noch jemanden hinter dem Ofen hervor.

Der bekannte Managementberater Reinhard K. Sprenger unternimmt mit seinem neuen Buch “Der dressierte Bürger” den Versuch, ein Konzept aus einem Guss vorzulegen. Sein Credo ist einfach: Mehr Mut zu eigenen Entscheidungen und zum persönlichen Risiko, das sind die Eigenschaften, die Deutschland abhanden gekommen sind, aber das Land wieder nach vorn bringen könnten.
Sprenger beginnt sein Buch mit einem Paukenschlag: “Ich bin ein Staatsfeind. Geworden, nicht schon immer gewesen. Und ich mag Deutschland. Die Landschaft fast immer, die Menschen meistens.” Schon hier wird deutlich: Der Autor will nicht die übliche Konsenssoße ausschütten und die Leser mit wohlklingenden Allgemeinplätzen ruhig stellen. Ihm geht es um Provokation. Abgewogenheit der Darstellung steht nicht im Vordergrund. Sprenger will aufrütteln und wach machen. Dabei fristet er kein Nischendasein, sondern gilt als Management-Guru, der fast alle Dax-100-Unternehmen berät. Mit seinen Büchern “Mythos Motivation”, “Das Prinzip Selbstverantwortung”, “Die Entscheidung liegt bei Dir” und “Vertrauen führt” tummelte sich der smarte promovierte Philosoph in den Bestsellerlisten.

Gemäß seinem Ansatz, nur nicht zu ausgewogen zu argumentieren, gerät Sprengers Politikerschelte etwas pauschal. Für ihn ist diese “Kaste” nicht die Lösung, sondern das eigentliche Problem, da sie den einzelnen Bürger im Stande der Unfreiheit hält. Auf allen Kanälen verkauften sie mit großer Geste kleinste Korrekturen als fundamentale Lösungen. Carl Graf Hohenthal nennt Deutschland das “Land der Sklerose”, und auch Sprenger ist sich sicher, dass es vor allem die Mentalität ist, die das Land in die Depression stürzt: “Der Souverän hat abgedankt. Die Deutschen sind so unbeweglich, weil sie sich daran gewöhnt haben, bewegt zu werden.” Um die rechtschaffenen Staatsbürger zu beruhigen. Dem Autor geht es zwar um eine Entmachtung des Staates. Dies bezieht sich aber vor allem auf die Ökonomie. Selbstverständlich ist der Staat als Ordnungsmacht unerlässlich. Doch es ist auch klar, dass die wirtschaftlichen Schwierigkeiten es dem Staat immer schwerer machen, äußere und innere Sicherheit zu gewährleisten. Im privaten Leben und in der Wirtschaft und Arbeitswelt setzt der Managementberater auf die Kraft des Einzelnen, wobei auf der Hand liegt, dass es stets Menschen geben wird, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können. Er hat sich die Freiheit aufs Panier geschrieben, was bei gleichheitsverliebten Bürgern, denen Adolf Hitler das Erbe der Volksgemeinschaft hinterlassen hat, auf Reserve stoßen dürfte.

Es ist bedauerlich, dass Sprenger ungefähr drei Viertel seiner knapp 200 Seiten auf die Darstellung der derzeitigen Lage verwendet. Manchen wird bei der zu lang geratenen Auflistung der deutschen Übel und Missstände schlicht die Depression befallen nach dem Motto: Das muss ich mir nicht antun! Schon wieder so ein Abgesang auf ein sterbendes Land! Einige Erkenntnisse sind aber zu wertvoll, als dass sie einfach unter den Teppich gekehrt werden dürften. Den Hauptgrund für Deutschlands Misere erkennt Sprenger darin, dass den meisten Deutschen der Mut zum Unternehmerischen fehlt: “In keinem europäischen Land ist der Anteil der Selbstständigen an allen Berufsgruppen niedriger. Lieber schwarz arbeiten als selbstständig sein.” Die Quote der Selbstständigen liegt in dem Land in der Mitte des Kontinents bei unter zehn Prozent und damit weit unter dem Durchschnitt aller Industrieländer. Im Vergleich zu den übrigen EU-Ländern fehlen Deutschland eine Million Unternehmer. Kein Wunder, dass Deutschland in puncto Bruttoinlandsprodukt nach Schätzungen bald von Spanien und Italien abgehängt wird. Der Musterknabe ist zum Abstiegskandidaten geworden, und keiner bekommt es richtig mit.

In erfreulicher Offenheit räumt Sprenger auch mit etlichen Mythen der Familienpolitik auf. Kinder bekommen die Menschen nicht mehr aus freiem Willen und dem natürlichen Wunsch, Nachwuchs in die Welt zu setzen, sondern weil sie auf “Knete für Kinder” scharf sind. So propagieren es zumindest die Grünen und Sozialdemokraten, und die orientierungslose Opposition schwenkt sogleich ein, damit man der Union kein antiquiertes Familienbild aus der Biedermeierzeit vorwerfen kann. Der Staat setzt insbesondere auf finanzielle Anreize: Steuervorteile, Kinderfreibetrag, Kinderkomponente bei der Eigenheimzulage, Bafög und so fort. Doch trotz dieser im internationalen Maßstab enormen finanziellen Anstrengungen üben sich insbesondere die Akademikerinnen in strikter Gebärverweigerung. Vorbei sind die Zeiten, in denen man Kinder haben wollte, weil man Kinder haben wollte: “Mein Kind - deine Ausgaben. Kinderkriegen ist daher auch keine private Entscheidung mehr, sondern eine öffentliche Investition. Nicht Väter und Mütter kriegen Kinder, sondern der Staat. Eltern werden staatliche Funktionäre zur Aufrechterhaltung der Sozialsysteme.” Die Folge dieser Gießkannenpolitik ist das gesellschaftlich sich ausbreitende Phänomen “allein erziehender Mütter”. Sprenger wörtlich: “In Berlin ziehen sie schon ein Drittel aller Kinder auf. Allein mit dem Staat.”

Auf Seite 147 kündigt der flott fabulierende Verfasser dann an, dass er nun von Moll auf Dur schalten und den Blick in eine optimistische Zukunft wagen will. Ob die Bewohner der sozialen Wärmestuben und sozialstaatlich orientierten Gleichheitsfanatiker diese Vision als ihr Himmelreich betrachten werden, ist eher fraglich. Sprenger richtet sich auf den letzten 50 Seiten wohl eher an den frustrierten, aber selbstbewussten Bürger, der endlich etwas ändern will und sich nicht mit den Politikerfloskeln abspeisen lässt, mit Hartz IV und der Agenda 2010 sei jetzt schon das Menschenmögliche getan worden. Deutschland braucht eine Revolution in den Köpfen, die mit diesen bürokratischen Titeln, die ungefähr das Sexappeal des so genannten “Verfassungspatriotismus” aufweisen, nicht initiiert werden kann. Zu Hartz IV bemerkt Sprenger völlig zutreffend: “wie man Gesetze nach einem Konzernmanager benennen konnte, ist mir schleierhaft”. Die Wortschöpfung “Agenda 2010” entstammt angeblich der Fantasie der Kanzlergattin. Das deutsche Mentalitätsproblem wird mit diesem Technokraten-Slang sicher nicht behoben.

Kapitän Sprenger will am Steuer-Rad drehen. Ein gerechtes Steuersystem hält er für eine Illusion, aber etwaige Ungerechtigkeiten seien bei niedrigen Steuern zumindest erträglicher. Hier wird er dann ganz konkret. Die Kapitaldecke der mittleren und kleineren Unternehmen ist als Folge verfehlter Steuerpolitik die niedrigste im Vergleich zu allen westlichen Industriestaaten. “Man nimmt aber lieber jährlich 40.000 Insolvenzen plus Verlust von Arbeitsplätzen in Kauf, anstatt ein Steuersystem zu entwickeln, das den KMUs eine krisensichernde Kapitaldecke erlaubt”, schreibt Sprenger. Er will weg von den horrenden Unternehmens- und Gewerbesteuern, die den deutschen Standort wenig reizvoll erscheinen lassen, und plädiert für Verbrauchssteuern, da hohe Unternehmenssteuern sowieso über die Preise an den Konsumenten weiter gegeben würden.

Der deutsche Steuerstaat will gerne dirigistisch lenken. Freiheitsorientierte Menschen können sich damit nicht zufrieden geben. Daher spricht sich Sprenger für eine Proportionalsteuer (flat tax) aus, damit sich niemand arm rechnen kann. Das deutsche Steuerrecht muss entrümpelt werden, da es nur noch die Steuerberater glücklich macht. Daher keine Privilegien, keine Ausnahmen, keine Steuerschlupflöcher, kein Ehegattensplitting. Steuergleichheit bedeute auch den Abbau aller Subventionen, weshalb der Autor empfiehlt, pauschal alle Subventionen jährlich um zehn Prozent zu kürzen. Außerdem heißt die Devise: Ran an den öffentlichen Dienst. Bei der Bundesagentur für Arbeit kümmern sich nur zehn Prozent der Beschäftigten um die Kernaufgabe, nämlich die Arbeitsvermittlung. Das neue Belohnungssystem der Herren Schily und Heesen vom deutschen Beamtenbund wird dazu führen, dass alle vermeintlich fleißigen Beamten Anspruch auf 110-prozentige Bezüge erheben werden: “Wer mit Belohnungssystemen lenkt, wir mit Erfolgsmeldungen bestraft.” Weitere Forderungen Sprengers: Abschaffung des Berufsbeamtentums – mit geringen Ausnahmen - , Brechen des Tarifkartells, Abschaffung des Solidaritätszuschlages, damit der deutsche Osten nicht als eine Art Junkie auch noch die nächsten 30 Jahre an der westdeutschen Spritze der Transferleistungen hängt, weg mit dem Meisterzwang, der nur noch die Macht der Etablierten schützt und unliebsame Konkurrenz aussperrt, Auflösung der Bundesagentur für Arbeit.

Sprenger ist der Vorwurf gemacht worden, seine Ideen seien zwar theoretisch klug, in der Praxis aber nicht durchsetzbar. “Sprengers Buch ist ja keine Bibel. Es muss nicht alles eins zu eins umgesetzt werden. Wenn der Autor rät, das Bundesland Rheinland-Pfalz müsse sich - wenn denn der Bedarf bestünde - von der Bundesrepublik trennen dürfen, halte ich das für ziemlich abgedreht”, kommentiert Michael Müller, Geschäftsführer der a & o after sales & onsite services GmbH in Neuss. “Sprengers Ausführungen über die Situation des deutschen Mittelstandes kann ich aber nur unterstreichen”, meint Müller, der auch als Wirtschaftssenator beim Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) fungiert. “Der Autor hat recht, wenn er eine neue Unternehmerbewegung fordert, so wie es mal eine historische Arbeiterbewegung gegeben hat. Mehr echtes Unternehmertum anstatt fadenscheiniger Ich-AGs würde unser Land schon vorantreiben. Vielleicht wirkt Sprengers Buch bei einigen ja als Mutmacher.”

Und auch Sprengers Buch endet versöhnlich, indem der Staatsfeind den deutschen Staat ehrt. Denn auch in vielen prosperienden Länder der Welt – zum Beispiel im boomenden China – wäre es undenkbar, derart kontroverse Thesen zwischen zwei Buchdeckel zu pressen. Es ist an der Zeit, dass Deutschland auch im Wirtschaftsleben eine neue Offensive der Freiheit startet.

Das Buch:
Der dressierte Bürger. Warum wir weniger Staat und mehr Selbstvertrauen brauchen. 200 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 3-593-37759-4
Autor: Reinhard K. Sprenger
Erschienen: Frankfurt am Main: Campus Verlag 2005

Mehr:
https://www.campus.de

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  • Quelle: /www.ne-na.de /red
  • Erstellt am 24.07.2006 - 09:52Uhr | Zuletzt geändert am 13.04.2021 - 09:59Uhr
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