Statt Oscar: Stadt aus Silber

Görlitz | Leipzig, 23. Februar 2015. Während sich die Mainstream-Medien im Oscar-Rausch überschlagen (der großenteils in Görlitz gedrehte Wes-Anderson-Film "The Grand Budapest Hotel" hatte in der vergangenen Nacht vier Nebenkategorie-Oscars für die Filmmusik, die Kostümierung, das Produktionsdesign und das Make-up bekommen, in Görlitz startete am Vorabend der Verleihung eine Oscar-Nacht im Camillo Kino), hat der Görlitzer Anzeiger junge Filmemacher mit Wurzeln im Landkreis Görlitz im Blick. Für das Filmprojekt "Stadt aus Silber" gab es als Zwischenbilanz vom 19. bis zum 22. Februar 2015 eine Medieninstallation in Leipzig. Der Görlitzer Anzeiger war bei der Vernissage dabei.

Anzeige

Von zerschellten Träumen und Verunsicherung

Von Thomas Beier. So etwa stelle ich mir die düstersten Ecken der Bronx vor: Leipzig, Demmeringstraße, Höhe Merseburger Straße. Unauffindbar, weil ein Spaßvogel das Straßenschild der Merseburger in die Demmering gedreht hat. Hier soll es HelleralsdasLicht sein?

Eingeladen zur Eröffnung der Acht-Kanal-Videoinstallation "Stadt aus Silber" hatten als Produzenten Ginan Seidl und Ray Peter Maletzki. Die "Stadt aus Silber" ist ein Plattenbauviertel im Hallenser Osten, ausgedünnt wie vielerorts, aber Spuren hinterlassend. So finden sich Zufahrten zu Häusern, die zu Wiesen wurden, gesäumt von Hügeln aus geschredderten Betonplatten. Von einem Wohnblock sind Mauerfragmente stehen geblieben, die den Grundriss der Arbeiterschließfächer erkennen lassen.

Im Film bewegt sich ein Mädchen durch die nicht greifbare Gegenwart zwischen beladener Vergangenheit und ungewisser Zukunft. Die Ungewissheit dieser Stadtlandschaft mit dem beängstigend nahen Braunkohlekraftwerk als Sinnbild einer das Leben beherrschenden Industrie erinnert an Tarkowskis Stalker - Entwicklungen verselbständigen sich hier, gelöst von menschlichen Interessen.

Ginan Seidl und Ray Peter Maletzki Ginan Seidl, aus Berlin stammend, Ray Peter Maletzky, der in Rothenburg/O.L. aufgewachsen ist und Helmut Beier aus Holtendorf bei Görlitz, der im Projekt für die Kamera verantwortlich war, gehören zum Filmkunstkollektiv ROSENPICTURES in Halle (Saale). Sie stehen für eine neue Generation mitteldeutscher Filmemacher, hochqualifiziert (u.a. Werkleitz Professional Media Master Class) und ambitioniert.

Die seit 2013 gedrehten Szenen aus "Stadt aus Silber" waren auf unterschiedlichsten Projektionsflächen zu sehen: Vom Röhrenfernseher auf dem Fernsehschränkchen bis zum Bettlaken auf der Wäscheleine eines neubaugebietstypischen Trockenplatzes, hoch oben erinnernd an den Basketballplatz, der längst keine Körbe mehr hat, in Mauernischen, zwischen Steinen - eine angenehme Art, sich einem Filmprojekt szenenweise zu nähern. Aus den Szenen soll der eigentliche Film entstehen. So gesehen ist die Videoinstallation eine Bestandsaufnahme, ein sich vergegenwärtigen des Potenzials, das in den Aufnahmen enthalten ist.

Zur Vernissage hat Emerson Culurgioni von der Filminitiative Leipzig (FILZ) einen Kommentar vorgelesen und der Londoner Soundkünstler "Kailin" hat ein fulminantes Werk entstehen lassen, dass die Stadt aus Silber in ihren Umbrüchen erfasste - Umbrüche, für die "Stadt aus Silber" ein Gefühl vermittelt: Von der arbeitsplatznahen Familienunterkunft, umgeben von einer umwelt- und damit letztlich menschenverachtenden Industrie, mit der für den Lebensunterhalt und die Vermehrung nötigen Infrastruktur von Kaufhalle, Kinderkrippe und Schule, hin zur ausgedünnten Siedlung für jene, die keinen Ausweg sehen. Die Szenen zeigen einen in sich geschlossenen Stadtteil, der in seiner Agonie einzuhalten scheint, ohne Hoffnung zu haben.

Hier sind die Träume der Bewohner zerschellt, wunderbar dargestellt von der "silbernen Frau", die schön sein will, doch verblüht ist, die ihre Umgebung gleichsam abtastet, um Ihre Individualität zu verbergen, als ehedem normierter Bürger nun höchst verunsichert.

Tipp:
Eine Nebenentdeckung der Veranstaltung ist das vegetarisch-vegane Restaurant Govinda in der Merseburger Straße 95. Erstklassige Karte, erstklassige Speisen, engagierte Macher. Prädikat: Unbedingt hingehen!
Govinda

Galerie Galerie
Kommentare Lesermeinungen (0)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Erstellt am 23.02.2015 - 08:48Uhr | Zuletzt geändert am 24.02.2015 - 10:19Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige