Konspirative Wohnungen

Jena, 27. Oktober 2006. In seinem Beitrag beschreibt Heinrich Best die konspirativen Wohnungen (KW) als Orte, in denen der hauptamtliche Mitarbeiter der Staatssicherheit seine Aufträge an den verdeckt arbeitenden Inoffiziellen Mitarbeiter (IM) weitergab und dort dessen Berichte empfing. Die Historikerin Jeanette van Laak nennt die KW in ihrem Beitrag deshalb vor allem "Orte des Verrats und der Denunziation".

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Neuer Band über der DDR-Staatssicherheit

Äußerlich ist den Häusern nicht anzusehen, welches Geheimnis sie verbargen. Es waren Altbauten ebenso wie Plattenbauten, Villen wie Fabrikgebäude, in denen die DDR-Staatssicherheit konspirative Wohnungen (KW) unterhielt. Wohnungen, die dem MfS bereitwillig von ihren Mietern zur Verfügung gestellt wurden.

Die Bilder der Häuser sind in dem Band "Geheime Trefforte des MfS in Erfurt" enthalten, den der Soziologe Heinrich Best und der Historiker Heinz Mestrup (Universität Jena) sowie der Epidemiologe und Mathematiker Joachim Heinrich (Universität München) jetzt herausgegeben haben. Heinrich leitete in den 1980er Jahren die Interessengemeinschaft "Umweltschutz/Umweltgestaltung" beim Erfurter Kulturbund und sah sich selbst der Überwachung durch das MfS ausgesetzt. Er regte das Forschungsprojekt zu den konspirativen Wohnungen in Erfurt an, das von der Friedrich-Schiller-Universität Jena wissenschaftlich betreut wurde. Anliegen der Herausgeber war es nicht, eine Enthüllungsreportage zu schreiben, sondern eine sensible Thematik sachlich zu analysieren.

Wie Heinrich bei seinen Nachforschungen herausfand, wurden die KW überwiegend in privaten Wohnungen eingerichtet, aber auch in betrieblichen und kommunalen Gebäuden. In Erfurt habe es in den 1980er Jahren insgesamt 481 KW und 26 konspirative Objekte gegeben. Vor allem in der zweiten Hälfte der 80er Jahre stieg die Zahl der rekrutierten KW rapide an: So wurden 1985 allein 60, im Jahr darauf 49 und sogar noch 1989 25 KW beschafft. Die Personen, die mit der Stasi zusammenarbeiteten, indem sie ihre Wohnung für konspirative Treffs zur Verfügung stellten, wurden selbst als Inoffizielle Mitarbeiter (IM) geführt.

In Erfurt entfielen nach der Untersuchung durchschnittlich 2,4 KW auf 1.000 Einwohner. Schwerpunkte bildeten die Prager Straße mit 23,6 KW pro 1.000 Haushalte und der Juri-Gagarin-Ring mit 22,9 KW pro 1.000 Haushalte. Bei den eigentlichen Mietern handelte es sich nach den Recherchen Heinrichs vor allem um Frauen, die wiederum meist bereits im Rentenalter waren. Sie hatten früher oft selbst für das MfS oder den Parteiapparat der SED gearbeitet und galten deshalb als zuverlässig. Denn die KW sollten vor allem eines ermöglichen: die Geheimhaltung der Treffen zwischen den hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern und ihren Spitzeln, den IM.

Nur in den Konspirativen Wohnungen glaubte das MfS die dauerhafte Konspiration gesichert, schreibt Heinrich. In öffentlichen Gebäuden oder bei der Stasi selbst wurde das Risiko, erkannt zu werden, als zu hoch eingeschätzt. Dagegen erschien es einfach und praktikabel, sich der Wohnung von Parteifreunden oder -anhängern zu bedienen.

Heinrich verweist auch auf einen psychologischen Aspekt, weshalb sich das MfS der KW bediente. Auf diese Weise schufen sie eine entspannte Atmosphäre für die Treffen, die meist eine Stunde und länger dauerten. Dort blieb Zeit für Gespräche mit den IM nicht nur über die Aufträge, sondern über "Gott und die Welt", wie Heinrich schreibt. Mit solchen Gesprächen konnte bei den Inoffiziellen Mitarbeitern auch eventueller Widerstand gebrochen werden, um "unreflektiert Aufgaben des MfS jeder Art und ohne Abgleich mit eigenen Wertevorstellungen pflichtbewusst zu erfüllen".

Jeanette van Laak verweist im Hauptbeitrag der Publikation auf die Funktion der KW. Es ging "um Verrat und um Denunziation, denn die Informanten sollten vor allem die Ideen und Aktionen der Andersdenkenden verraten und/oder damit die Akteure der Szene denunzieren". Die Andersdenkenden hätten zwar gewusst, dass sie bespitzelt wurden, aber nicht, von wem und an welchen Orten der Verrat und die Denunziation begangen wurden, nämlich in den Konspirativen Wohnungen.

Die Historikerin beschreibt daher ausführlich und anhand zahlreicher konkreter Beispiele, welche Personen und Gruppen in den 80er Jahren ausgespäht wurden, so unter anderem die Offene Arbeit der Evangelischen Kirche, Friedens- und Umweltgruppen wie die Umweltgruppe des Erfurter Kulturbundes. Sie beschreibt aber auch detailliert die Tätigkeit der Spitzel, die nicht selten wegen tatsächlich begangener oder vermeintlicher Straftaten von dem MfS unter Druck gesetzt worden waren. Ebenso beschreibt van Laak an ausgewählten Beispielen die Personen, die ihre Wohnung dem MfS zur Verfügung stellten. Gegen Ende des Bandes findet sich überdies ein Interview der Herausgeber mit einem hochrangigen Offizier der MfS-Bezirksverwaltung Gera über Nutzen und Funktion Konspirativer Wohnungen aus der Sicht der Staatssicherheit.

Bezug:
Heinrich Best, Joachim Heinrich, Heinz Mestrup (Hg.): Geheime Trefforte des MfS in Erfurt. Erfurt 2006. Preis: 3 Euro. ISBN 3-932303-50-4
Der Band ist zu erhalten bei der Thüringer Landesbeauftragten für Stasi-Unterlagen, Postfach 900455, 99017 Erfurt, Tel.: 0361 / 3771951 oder über die Internetseite: http://www.thueringen.de/tlstu.

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