Görlitzer "Neue Marktwirtschaft" anerkannt

Görlitz | Pirna, 20. November 2013. Wenn in Görlitz über "Neue Marktwirtschaft" gesprochen wird, dann geht es nicht immer um die große Politik - Stichwort: Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft - sondern eher um die Bewirtschaftung des Wochenmarktes und der ganzen Elisabethstraße. Das Görlitzer Projekt "Die neue Marktwirtschaft" war vorgestern in Pirna bei der Abschlussveranstaltung des 10. Wettbewerbs der sächsischen City Offensive "Ab in die Mitte!" mit einem Anerkennungspreis erfolgreich.

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Kollidiert die Phantasie mit der Marktwirtschaft?

Die Görlitzer "Neue Marktwirtschaft" beschäftigt sich mit Neuerungen auf der platzähnlichen Görlitzer Elisabethstraße und des dortigen Wochenmarkts. Mittelfristig soll der Platz mit Bodenbelägen, Baumpflanzungen und Ausstattungen neu gestaltet werden, jedoch gehen kurzfristige Aktivitäten in Richtung einer "aufregend neuen Marktwirtschaft", wie es Koordinator Friedemann Dreßler vom Stadtplanungsamt Görlitz formuliert

Bürger, Unternehmen und Verwaltungsleute beteiligt

Ein Arbeitskreis aus Bürgern, Selbständigen und Stadtverwaltungsangestellten versteht sich als Ideengeber daafür, wie der Görlitzer Wochenmarkt seine Attraktivität steigern kann. Geht es nach ihnen, wird aus der Elisabethstraße eine echte "Naschallee".

Dass das nicht ohne die Anbieter auf dem Markt und den Marktpächter geht, leuchtet auch dem Arbeitskreis ein. Doch Phantasie ist erlaubt, in einer Mitteilung der Stadtverwaltung Görlitz heißt es: "Dabei blasen die Ideengeber zur 'Häppchenjagd' und wollen als Kunden Erzeuger überzeugen, als Anbieter zu bieten. Auf monatlichen Sondermarkttagen werden Gärtner, Bauern, Handwerker und Dienstleister die Marktfähigkeit ihrer Produkte testen können. Kosten, Kaufen und Kommentieren solle ein neues Markterlebnis schaffen. Mit Lastenrädern können sich Kunden den schweren Kürbis oder den Sack Kartoffeln nach Hause liefern lassen, wenn dieser am weiteren Einkauf hindert."

Umgesetzt werden soll alles in Zusammenarbeit mit Wochenmarkt-Pächter Francois Fritz. Schon im Frühsommer 2014 sollen Zeichen gesetzt werden.

Für die mittelfristige Verjüngung des Platzes auf der Elisabethstraße planen bereits Studentengruppen in Stuttgart und Paris. Auch von hier werden Ideen und Impulse erwartet, die weit über den Platz hinausreichen - für das Stadtplanungsamt sollen das Anregungen auch für die folgenden Gespräche mit Bürgern sein. Die Studentengruppen aus Stuttgart und Paris haben sich Görlitz bereits vor Ort angeschaut, erste Entwürfe werden nun für Februar 2014 erwartet.

Erfolgsbilanz für Görlitzer Aktivisten

In den zehn "Ab in die Mitte!"-Wettbewerben hat Görlitz nun zum achten Mal einen Preis gewonnen und steht auf dem Siegertreppchen der inoffiziellen Teilnehmer-Gesamtwertung ganz oben. Gut in Erinnerung sind die Projekte "Fliegender Biergarten", "Muschelminna, Matsch und Meer", "Entdecke die Ecke!" oder "Görly Dancing", die der Stadt an der Lausitzer Neiße überregionale Aufmerksamkeit einbrachten.

Die City Offensive verbindet private und öffentliche Partner, um mit Festen und nachhaltigen Aufwertungen für besser belebte Innenstädte zu sorgen. Zu den Sponsoren gehören die Volks- und Raiffeisenbanken, EDEKA und Galeria Kaufhof.

Kommentar:

So manchem Ur-Görlitzer treibt es das Gruseln in den Nacken, wenn er nur das Wort "Umgestaltung" hört. In den Augen vieler ist der Reiz der Stadt genau der Tatsache geschuldet, dass Historisches stets bewahrt und eben nicht neumodisch-vergänglich umgestaltet wurde.

Andererseits lassen sich Wandel und Fortschritt nicht aufhalten. Ein Beispiel ist die gelungene - wenn auch viel diskutierte - Umgestaltung des Marienplatzes: Entstanden ist eine wohltuend zurückhaltende Architektur, die den vielen Nutzungsinteressen von Kindern, Flaneuren und Veranstaltern gerecht wird und den Pflegeaufwand in Grenzen hält.

Ein Risiko würde jedoch eine ungebremste Umgestalteritis mit sich bringen: Die Filmstadt Görlitz lebt von ihren Kulissen. Werden die modernistisch aufgepeppt, ist die schöne Illusion der Stadt, die sich treu bleibt, kaputt.

Apropos Kulisse: Die Elisabethstraße entwickelt sich zum Banken-, Versicherungs- und Maklerviertel von Görlitz. Das hat Vorteile für die Anbieter wie für die Kunden. Zu den ganz wesentlichen gehört die unterm Strich noch immer gute Verfügbarkeit von Parkplätzen, ein Vorteil, der von neuen Nutzungskonzepten nicht eingeschränkt, sondern eher ausgebaut werden sollte. Fahrzeugverkehr großflächig zurückzudrängen wäre für eine mittlere Stadt wie Görlitz, zumal mit ihrem Starken Umlandbezug, der Dolchstoß für das innerstädtische Leben.

Zum Schluss macht die Rechnung der Wirt: Marktpächter und Marktzuhändler lieben ihren Markt wie die Besucher, stehen aber zugleich unter dem Druck, Geld zu verdienen. Wenn der Kunde dann - wie oben beschrieben - die Anlieferung seines Kürbisses oder seiner Kartoffeln per Lastenfahrrad in Rechnung gestellt bekommt oder sich diese Leistung im Preis niederschlägt, spätestens dann kollidiert die Phantasie mit der Marktwirtschaft,

vermutet Ihr Thomas Beier

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  • Quelle: red | Fotos: © www.BeierMedia.de
  • Erstellt am 20.11.2013 - 08:34Uhr | Zuletzt geändert am 25.10.2019 - 11:22Uhr
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