Fokus: Bombardier baut Stellen ab
Görlitz, 26. Februar 2016. Von Thomas Beier. Die Werke in Bautzen und Görlitz tragen die Hauptlast des geplanten Stellenabbaus bei Bombardier in Deutschland. In diesem Zusammenhang liefern einige Politiker Zeugnisse wirtschaftlicher Unbedarftheit. Befremdlich, wenn die für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unangenehme Situation dann auch noch für den politischen Schlagabtausch genutzt wird. So wird Politikverdrossenheit gedüngt.
Abbildung: Im Jahr 2008 im früheren Waggonbau Görlitz Werk I, heute Polizeidirektion Görlitz.
Sollen sich Unternehmen etwa nach der Politik richten?
Bombardier macht das, was ein Unternehmen tun muss, wenn sich unsichere Zeiten ankündigen, man selbst aber noch wirtschaftlich stark ist: Sich vom in guten Jahren angesetzten Speck befreien, sich flexibel auf noch teils unbekannte Anforderungen einstellen, um zukunftsrobust zu bleiben.
Für die Bombardier-Standorte in Ostsachsen - das sind Bautzen und Görlitz - bedeuten die aktuellen Maßnahmen den Verlust von insgesamt 920 Stellen. Das aber will näher betrachtet sein.
Die Arbeitsplätze...
Von den ungefähr 2.500 Mitarbeitern in Görlitz sind ein knappel Drittel Leiharbeiter, jene Gruppe also, die vom Stellenabbau an stärksten betroffen sein soll. Diese Leiharbeiter sind jedoch nicht bei Bombardier angestellt, sondern bei den Leiharbeitsfirmen. Bombardier streicht also die Arbeitsplätze, nicht die Arbeitsverträge. Allerdings ist anzunehmen, dass die Leiharbeitsfirmen viele Verträge der bislang bei Bombardier eingesetzten Beschäftigten kündigen werden. Zum Verständnis: Die ungeliebte Leiharbeit ist vor allem eine Folge des deutschen Arbeitsrechts, das sehr starke Arbeitnehmerrechte mit sich bringt, und der mit den Arbeitsplätzen von Angestellten verbundenen Bürokratie. Beide Problemfelder verlagern Arbeitgeber, die auf Leiharbeit setzen, auf die Verleihfirmen.
Die Arbeiten, die an den zu streichenden Arbeitsplätzen ausgeführt worden, entfallen nicht absolut. Ein wesentlcher Teil davon, so darf unterstellt werden, wird auf Zulieferer delegiert, die damit Arbeitsplätze schaffen. Diese Zulieferer übernehmen damit einen Teil des wirtschaftlichen Risikos, das sich aus der unsicheren künftigen Unternehmensauslastung bei Bombardier ergibt - und das ist vernünftig, können kleinere Zulieferer doch flexibler reagieren als der Konzern-Koloss. Genau dieser Mittelstand - Stichwort Zulieferindustrie - ist doch eine der tragenden Säulen der deutschen Wirtschaft.
Grundsätzlich muss man Gewerkschaftern wie Politikern immer wieder ins Stammbuch schreiben, dass es nicht Aufgabe der Wirtschaft ist Arbeitsplätze zu schaffen. Wohin das führen würde, darunter hat das sozialistische Experiment sein q.e.d. geschrieben. Nein, die Wirtschaft muss konkurrenzfähige Waren und Leistungen erzeugen, damit die Betriebe existieren können. Dazu wiederum brauchen sie Mitarbeiter, gut so. Das ist der real existierende Kapitalismus mit all seinen Schattenseiten, aber auch als entwicklungsfähiges und gestaltbares System.
...und die Politiker
Wenn nun Politiker klugscheißerisch von "Missmanagement" bei Bombardier sprechen, das dümmliche Klischee der "Nieten in Nadelstreifen" bemühen, verlogen von ihrer "Solidarität mit den Beschäftigten" sprechen und "das Gespräch mit dem Wirtschaftsministerium" suchen, gar den sächsischen Wirtschaftsminister nach Kanada schicken wollen, um die Unternehmensstrategie von Bombardier zu beeinflussen, so ist das nichts als Populismus und Anbiederung beim Wahlvolk. So zeigen sich Politiker als Schönwetterpartner der Wirtschaft, Schulterklopfen bei Grundsteinlegungen und Eröffnungen, Beschimpfungen und nichts als symbolische Handlungen, wenn es ernst wird.
Wie wäre es, wenn die Politik sich damit beschäftigen würde, dass unsere Gesellschaft gespalten ist auch in jene, die mit einem tarifbezahltem und weitgehend sicherem Arbeitsplatz im Boot sitzen und jene, die es nicht ins Boot geschafft haben, weil die Zahl der klassischen Arbeitsplätze nicht ausreicht, sich mit Minijobs durchschlagen, aufstocken müssen oder ihre Beschäftigungsfähigkeit längst verloren haben. Hier ein menschenwürdiges und sinnerfülltes Leben zu ermöglichen, da gibt es viel zu tun, liebe Politikerinnen und Politiker!
Auch wenn Deutschland insgesamt heute nahezu Vollbeschäftigung - freilich regional unterschiedlich ausgeprägt und unter Anwendung statistischer Tricks - erreicht hat, muss klar sein: Das Industriezeitaler ist vorbei, sowohl mangels Industrie als auch mangels Menschen, die ihr Leben der Industrie unterordnen wollen. Die Konsequenzen für jeden Einzelnen sind enorm, was die Definition von Wohlstand, den Konsum, die Eigenverantwortung in allen Lebensbereichen betrifft - und eröffnen neue Möglichkeiten für Selbstbestimmung, Gesundheit und Einklang mit der Umwelt.
Es darf diskutiert werden.
Der Autor beschäftigt sich als Freiberuflicher Unternehmensberater unter anderem mit der Entwicklung von Unternehmensstrategien im volatilen Umfeld.



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- Quelle: Thomas Beier | Foto: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 26.02.2016 - 09:44Uhr | Zuletzt geändert am 11.02.2017 - 12:20Uhr
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