Görlitz trauert: Dr. Albrecht Goetze ist tot

Görlitz trauert: Dr. Albrecht Goetze ist totGörlitz, 8. Mai 2015. Er gehört zu den großartigen Persönlichkeiten, die die deutsch-polnische Verständigung und Görlitz-Zgorzelec als Kulturstadt in besonderer Weise voranbrachten: Dr. Albrecht Goetze, in Görlitz und Zgorzelec bekannt vor allem als spiritus rector und treibende Kraft für den heutigen MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN im polnischen Teil der Europastadt. Bereits am 25. April 2015 ist er verstorben, wie heute bekannt wurde. Den Görlitzer Anzeiger verband eine besondere Geschichte mit Dr. Goetze.
Abbildung: Dr. Albrecht Goetze (li.) mit Terry Crandle im Jahr 2010 am Mahnmal auf dem Gelände des früheren Görlitzer Kriegsgefangenenlagers StaLag VIIIA.

Foto: © Görlitzer Anzeiger
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Nachrufe des Görlitzer Anzeigers, der Stadt Görlitz und des MEETINGPOINT MUSIC MESSIAN

Nachrufe des Görlitzer Anzeigers, der Stadt Görlitz und des MEETINGPOINT MUSIC MESSIAN
2010: Dr. Albrecht Goetze erklärt Terry und Karen Crandle aus Neusseeland seine Vision vom MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN.
Foto: © Görlitzer Anzeiger

Die in ihrer Art wundervolle Geschichte begann, als sich im Jahr 2010 Terry Crandle aus Neuseeland beim Görlitzer Anzeiger meldete. Er plante einen Görlitzbesuch, um zu sehen, wo sein Vater während des Zweiten Weltkriegs interniert war: Im StaLag VIIIA in Görlitz-Moys (heute Zgorzelec-Ujazd).

Der Görlitzer Anzeiger hatte ein Programm für Terry Crandle und seine Frau Karen zusammengestellt und die beiden begleitet. So kam es zu herzlichen Begegnungen mit Dr. Albrecht Goetze im Büro des MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN am Demianiplatz, dem damaligen Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick und Ratsarchivar Dr. Siegfried Hoche. Dabei übergab Terry Crandle dem Meetingpoint und dem Ratsarchiv je ein Exemplar des Buches "Interlude" (Zwischenstopp), dass im Görlitzer Kriegsgefangenenlager geschrieben worden und 1945 in London verlegt worden war.

Das Buch zeigt detailliert, wie Soldaten der Westalliierten mit Überlebenswitz und Renitenz ihre Gefangenschaft in Görlitz erlebten - zumindest menschlicher, als ihre russischen Kameraden, die in einem separaten Lagerteil untergebracht waren. Terry Crandles Vater, der als Neuseeländer und Teil des Commonwealths unter britischem Kommando kämpfte, kam in Ägypten in Kriegsgefangenschaft. Nach mehreren Fluchtversuchen in Italien wurde er schließlich nach Görlitz verlegt, wo er maßgeblich an "Interlude" mitschrieb. By the way: Wer sich für Fluchtversuche alliierter Kriegsgefangener interessiert, sollte sich das ehemalige StaLag Luft 3 in Sagan (Żagań) ansehen, etwa 60 Kilometer von Görlitz entfernt.

Als Folge der intensiven Kontakte zu Dr. Albrecht Goetze besuchte dieser quasi im Handstreich die Freie Republik Schwarzenberg und die dortige Galerie Silberstein. Hier, aus der Begegnung mit dem Künstler Jörg Beier, entstand - unterstützt vom Lions Club Görlitz/Zgorzelec - die Ausstellung "Jüdische Spurensuche" in der Synagoge zu Görlitz.

Nach Beginn seiner Erkrankung hatte sich Dr. Goetze nach Berlin zurückgezogen und seine Kontakte nach Görlitz - außer zu einem Vertrauten - abgebrochen. Seine wohl letzte öffentliche Botschaft in die Europastadt Görlitz-Zgorzelec war die am 15. Januar 2015 zur Eröffnung des MEETINGPOINT MUSIC MESSIAN von Klaus Arauner, dem Görlitzer Theater-Generalintendanten, verlesene.

Wir trauern um einen großartigen Menschen.

Thomas Beier
Inhaber der Regional Magazin Gruppe


Nachruf der Stadt Görlitz

Dr. Albrecht Goetze wirkte unermüdlich für seine Idee, in der Europastadt Görlitz-Zgorzelec einen Begegnungsort zu etablieren, der vor allem junge Menschen anzieht und inspiriert. Am heutigen Freitag erreichte die Stadtverwaltung Görlitz die Nachricht, dass der Initiator und langjährige Motor des Meetingpoint Music Messiaen e.V. am 25. April 2015 im Alter von 72 Jahren gestorben ist.

"Wir trauern um einen unglaublich engagierten Mann, der nicht nur eine Vision hatte, sondern diese mit großer Leidenschaft, Herzblut und ganzer Kraft umsetzte", sagte der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege. "Seinen Angehörigen gilt unser tief empfundenes Mitgefühl."

Albrecht Goetze ist es maßgeblich zu verdanken, dass auf dem Gelände des früheren Kriegsgefangenenlagers Stalag VIIIa inzwischen eine multimediale Begegnungsstätte steht: das Europäische Zentrum für Bildung und Kultur in Zgorzelec. Seit 2002, als der Regisseur und Komponist nach Görlitz kam, hatte er sich vehement dafür eingesetzt.

Albrecht Goetze war spürbar fasziniert von Musik und er konnte andere begeistern, aktiv zu werden - mit enthusiastischen Worten und ungewöhnlichen Aktionen. Sein besonderes Augenmerk dabei galt jungen Leuten. Der kunstvoll bemalte Triebkopf eines ICE-Zuges, der eine Zeit lang vor dem Theater stand, ist vielen Görlitzern sicher noch in guter Erinnerung.

2008 erhielt Albrecht Goetze die Medaille "Für Verdienste um die Europastadt Görlitz/Zgorzelec". Damit wurde sein Grenzen überschreitendes, Generationen übergreifendes und Menschen aus verschiedensten sozialen Gruppierungen integrierendes Engagement gewürdigt. "Wir werden dem Wegbereiter für einen Begegnungsort an geschichtsträchtiger Stelle im Herzen Europas allzeit ein ehrendes Gedenken bewahren“, sagte Oberbürgermeister Deinege.


Nachruf des MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN e.V.

Der MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN e.V. trauert um seinen Gründer und langjährigen Präsidenten Dr. Albrecht Goetze. Nach Angaben der Familie starb er am 25. April in Berlin nach langer, schwerer Krankheit.

Albrecht Goetze, am 3. Juni 1942 in Leipzig geboren, kam nach Stationen als Theaterregisseur und Künstler in Hamburg, London und München im Herbst 2002 nach Görlitz und arbeitete zunächst als Konzertpädagoge am Gerhart-Hauptmann-Theater. In dieser Zeit arbeitete er intensiv mit Kindern und Jugendlichen aus der gesamten Euroregion zusammen, die er in den Jahren 2004 und 2005 in ein großes grenzüberschreitendes Festival einbezog: "Europa ist Musik".

Albrecht Goetze war zutiefst davon überzeugt, dass die Kunst im Allgemeinen, die Musik aber im Besonderen ein Lebensmittel für jeden Menschen ist – kein Sahneklecks oder nur eine nette Zugabe.

Diese Überzeugung vertiefte sich in der Beschäftigung mit der Musik von Olivier Messiaen (1908 – 1992), die für ihn Anlass war, im Alter von beinahe 60 Jahren nach Görlitz zu kommen. Während des Zweiten Weltkrieges, in den Jahren 1940/41, war Messiaen im Görlitzer Kriegsgefangenlager Stalag VIII A inhaftiert, als einer von letztlich rund 120.000 Soldaten, die in Stadt und Region als Zwangsarbeiter eingesetzt wurden. Messiaen vollendete hier eines der herausragenden kammermusikalischen Werke des Zwanzigsten Jahrhunderts, das „Quatuor pour le fin du temps“ (Quartett für/auf das Ende der Zeit). Am 15. Januar 1941 führte es Messiaen in der Theaterbaracke gemeinsam mit drei Mitgefangenen des Lagers erstmals auf. In dieser Musik sah Albrecht Goetze einen Beleg dafür, dass der Mensch auch schwierigste Lebenssituationen meistern kann, wenn er sich ganz auf seine innersten Kräfte und Fähigkeiten konzentriert.

Albrecht Goetze entwickelte im Jahr 2005 ein Konzept für einen Erinnerungs- und Zukunftsort, einen Ort der Bildung und der Kultur, ein europäisches Begegnungszentrum auf dem Gelände des früheren Kriegsgefangenenlagers. Er gab dieser Vision den Titel MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN. Im Jahr 2007 gründete er den gleichnamigen Verein und leitete ihn fünf Jahre lang als Präsident.

In dieser Zeit fand er Partner auf der polnischen und der deutschen Seite, mit denen er gemeinsam eines der größten EU-Projekte im sächsisch-polnischen Grenzraumes ins Leben rief. Von 2009 bis 2013 entstand das Europäische Bildungs- und Kulturzentrum MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN, getragen unter anderem von der Zgorzelecer Stiftung für Unternehmensförderung als Lead-Partner und dem MEETINGPOINT-Verein als Projektpartner. Für die konzeptionelle Arbeit und den Bau stellte die Europäische Union rund 3,3 Millionen Euro aus dem Ziel-3-Programm für operationelle Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Polen bereit.

Die Eröffnung dieses Zentrums am 15. Januar 2015 hat Albrecht Goetze nicht mehr persönlich miterlebt. Bereits zwei Jahre zuvor, im Dezember 2012, hatte sich der geistige Vater und unermüdliche Motor aus gesundheitlichen Gründen komplett aus dem Projekt und aus der Region zurückgezogen. In neuer Besetzung und mit einem Team junger, engagierter Mitarbeiter, bewahrt der Verein MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN seither das Erbe seines Gründers und entwickelt es mit den Partnern aus Zgorzelec und Görlitz sowie in vielen anderen Orten und Institutionen in Polen, Deutschland und Tschechien fort.

Vorstand, Mitglieder und Mitarbeiter des MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN e.V. erinnern sich dankbar und mit allergrößter Achtung an einen unglaublich inspirierenden, belebenden, konsequenten, kreativen und – beinahe – unermüdlichen Menschen. Sein Anspruch, die Erinnerung an die Opfer von Faschismus und Krieg wachzuhalten und – auch mit Hilfe der Musik als universeller, spiritueller Sprache – Menschen vieler Länder, Kulturen und Weltanschauungen zusammenzuführen an einem Ort, der einst für Trennung und Feindschaft stand, bleibt für uns Verpflichtung.

Görlitz, 8. Mai 2015

Frank Seibel
MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN e.V.


Erfahren Sie mehr zum Wirken von Dr. Albrecht Goetze, über den Besuch von Terry Crandle in Görlitz und Zgorzelec, über das StaLag VIIIA und den MEETINGPOINT MUSIC MESSIAN im Görlitzer Anzeiger:
29.01.2015: Gelungen: Der MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN
18.12.2014: Historisch-Musikalisches Wochenende / Weekend Historyczno-Muzyczny
29.10.2014: Veranstaltungen des Schlesischen Museums zu Görlitz
07.01.2014: Das letzte Konzert im Zelt – und der Beginn einer neuen Zeit
28.05.2013: Europäisches Zentrum für Bildung und Kultur entsteht
20.12.2012: Dr. Albrecht Goetze zieht sich zurück
11.06.2012: Schüler arbeiten für die Erinnerung
08.11.2011: Initiativpreis für MEETINGPOINT MUSIC MESSIAEN
16.07.2011: Aktion Sühnezeichen im StaLag IIIVa
16.01.2011: Skulptur für StaLag-Gelände
24.01.2011: Ende einer Ausstellung
13.11.2010: Subtile Einblicke in jüdisches Leben
07.11.2010: Wie die große aus der kleinen Welt erwächst
26.05.2010: Ein Buch, geschrieben im Stalag VIIIA

Die Lausitzer Rundschau berichtete:
26.06.2010: Geschichtsträchtiges Buch aus dem fernen Neuseeland





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  • Quelle: red | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 08.05.2015 - 16:05Uhr | Zuletzt geändert am 03.06.2022 - 22:51Uhr
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