Görlitz kämpft um sein Kaufhaus

Görlitz-Zgorzelec. Der Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick hat sich am 2. Juni 2009 mit der Geschäftsstellenleiterin des örtlichen Hertie-Kaufhauses, Ilona Markert, sowie dem Vorsitzenden des Betriebsrates, Armin Schneider, getroffen, um über die aktuelle Situation zu sprechen. Auch der erfolgreiche Görlitzer Standort soll geschlossen und verkauft werden.

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Gespräche mit möglichen Investoren - Ausverkauf beginnt

Für den Oberbürgermeister stehen neben dem Erhalt des einzigartigen Jugenstil-Kaufhauses die Mitarbeiter im Mittelpunkt. „Ich bedaure es außerordentlich, dass die Verhandlungen zwischen Hertie und dem Eigentümer gescheitert sind und das Görlitzer Haus ebenso wie 53 weitere Kaufhäuser in Deutschland geschlossen wird. Diesen Beschluss hat der Gläubigerausschuss am 20. Mai gefasst, ungeachtet dessen, dass Hertie in Görlitz erfolgreich ist. Das tut weh und ist außerordentlich bitter für Görlitz und die Belegschaft. Trotzdem habe ich heute Mitarbeiter getroffen, die ungeachtet dieser traurigen Wahrheit engagiert und motiviert im Verkauf tätig sind. Diese Haltung beeindruckt mich sehr“, so Paulick, der den Betroffenen Mut zusprach.

Offenbar sind die Entscheidungen des Eigentümers und die Qualität des Görlitzer Standorts zwei Welten, die nicht zusammenpassen. Paulick gibt sich kämpferisch und sieht für das Görlitzer Haus möglicherweise Vorteile bei der Investoren-Suche: „Wir geben die Hoffnung nicht auf und werden uns mit ganzer Kraft für unseren Kaufhaus-Standort einsetzen. Die Europastadt GmbH ist beauftragt, weitere mögliche Investoren zu kontaktieren, um sie für Görlitz und das historisch einmalige und ebenso wertvolle Jugendstil-Gebäude zu interessieren. Unser architektonisches Juwel hebt sich dadurch aus der Menge der Hertie-Häuser ab, das könnte die Zukunftschancen erhöhen. Bisher gab es Gespräche mit ca. zehn Investoren, einige davon waren auch vor Ort, darunter auch ein europaweit agierender Centerbetreiber.“

Während die Stadt fieberhaft nach Investoren sucht, läuft für den jetzigen Betreiber des Görlitzer Kaufhauses das nüchterne Geschäft der Abwicklung. Wie Hertie-Pressesprecher Wolfgang Weber-Thedy sagte, werde in Kürze der Ausverkauf in den Kaufhäusern beginnen. Der britische Eigentümer Dawnay Day hat inzwischen ein Berliner Immobilienbüro mit dem Verkauf der Häuser beauftragt.

Die Stadt Görlitz war frühzeitig aktiv geworden, um das Unheil abzuwenden. Bereits im August 2009 hatte sie sich sowohl der Initiative des Bürgermeisters der Stadt Wessling zum Erhalt der Hertie-Geschäftsstellen angeschlossen als auch den Bundeswirtschaftsminister und den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen dahingehend schriftlich um Unterstützung gebeten, sich persönlich für den Erhalt der Standorte einzusetzen.


Kommentar

Es ist, wie es ist. Hertie geht den Bach runter, neue Betreiber für das erhabene Görlitzer Haus werden krampfhaft gesucht.

Dass die Stadt sich eine potente Wirtschaftsförderung leistet, könnte sich jetzt auszahlen. Investorensuche ist ein zähes Geschäft. Neben dem Geldvermögen sind Leute gefragt, die auch ausgerechnet in Görlitz investieren wollen und möglichst noch was vom Handelsgeschäft verstehen.

Auch wenn der Warenhaus-Sektor insgesamt rückläufig ist: Der Görlitzer Standort ist ein besonderer. Das liegt nicht daran, dass man für das Kaufhaus ob seiner prächtigen Architektur getrost Eintritt nehmen könnte, das liegt vor allem an der Doppelstadt-Rolle von Görlitz-Zgorzelec und der Bedeutung des Hauses für die Bewohner der Stadt.

Perspektivisch kommt die Görlitzer City nicht umhin, ein hochwertiger und zwangsläufig teurer Handelsstandort zu werden, der sich optimale Zielgruppen - gut betucht, anspruchsvoll und wieder kommend - erschließt. Kurzfristig sind aber Konzepte gefragt, die beim Kunden schnell greifen. Neben Preiswürdigkeit kommt da Erlebniswert in Spiel, ohne den im Einzelhandel soundso kaum noch was geht. Auf die Architektur des Hauses allein zu setzen, wird zu wenig sein.

Görlitz als Stadt hat es hervorragend verstanden, dem Schicksal von Rothenburg ob der Tauber zu gehen - ein perfekt saniertes Städtchen zu werden, durch das sich Touristen wälzen (auch wenn mancher das so möchte). Das gibt den Mut, dass die Görlitzer auch für ihr Kaufhaus eine adäquate Lösung finden: Leben ins Haus bringen, ohne auf muffige Konzepte zu setzen.

Mit im Boot sein wird immer der Vermieter. Wird die Miete zu hoch, wird die Gestaltungsfreiheit kleiner,

so ist das,

Ihr Fritz R. Stänker

Kommentare Lesermeinungen (4)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Rolltreppen - nein danke!

Von Brigitte Schönsee am 08.06.2009 - 10:38Uhr
Obwohl ich keine Görlitzerin bin, liebe ich das Kaufhaus von Kindesbeinen an. Dazu gehört besonders die Architektur: Der einmalig schöne Lichthof und die wunderbaren Treppen!

Rolltreppen passen in eine modernere Epoche. In der GALERIA am Alex sind sie berechtigt. Dort ist auch ein Lichthof vorhanden und spart Beleuchtungsenergie.

Dezente Fahrstühle an den Seiten des Hauses stören das Gesamtbild nicht und gewähren auch gebrechlichen Menschen oder Rollstuhlfahrern den barrierefreien Zugang zu den einzelnen Etagen.

Veränderungsbedürftig am jetzigen Zustand: Die fehlende Behindertentoilette und die Leuchtstoffröhren sind auch nicht mehr zeitgemäß.

Görlitzer, kämpft um Euer wunderschönes attraktives Kaufhaus!

Viele Grüße,

Brigitte

Unser Kaufhaus

Von Rolf Domke am 04.06.2009 - 09:14Uhr
Ich freue mich zu lesen, dass die Stadt Görlitz und ihr Oberbürgermeister sich qualifiziert um das aufgetretene Problem kümmern. Leider schreibt die SZ anders, leider offensichtlich wieder mal nicht Willens, Fakten zur Kenntnis zu nehmen.

Nun wird es natürlich schwierig einem britischen Finanzinvestor ein Görlitzer Lokalcolorit zu Lasten des monetären Ertrages zu vermitteln. Die Karstadt-Häuser, die diesem Investor mittlerweile gehören, zahlen 17 % des Umsatzes an Miete. Das ist übrigens eine branchenunübliche Größe, i.d.R. werden 8-11 % gezahlt. Ich gehe nicht davon aus, dass ein Görlitz-Rabatt bei diesem Investor eingeführt wurde.
Also, um das Gesamtproblem tatsächlich messen zu können, wäre der Umsatz des Görlitzer Kaufhauses von Interesse. Der Mietertrag bildet den Ertragswert einer Immobilie, also die Erlöserwartung des Verkäufers. Hier spielt wieder die exorbitante Größe mit. Ich glaube, wenn wir diese Zahlen kennen, wird unsere Hoffnung auf eine bittere Realität reduziert.

Natürlich kann man sagen, dass ein kleinerer Ertrag besser sei als keiner, aber wer Zeit hat, kann warten. In jedem Fall liegen bei den Eigentümern schon Daumenschrauben bereit, die einem zunächst willigen Investor wohl angelegt werden sollen. Das ist kein freundliches Zeichen. Die Rolle des Insolvenzverwalters scheint mir auch eine undankbare zu sein. Auch dieser kann die Interessen der Gebäudeeigentümer nicht beeinflussen.

Ich wünsche mir und vertraue darauf, dass die Europastadt GmbH um Lutz Thielemann hier erfolgreich und vermittelnd tätig werden wird. Diese Gruppe kann das auch.

Veränderungen zum Erhalt des Kaufhauses

Von Engert Sven am 04.06.2009 - 08:35Uhr
Dass „Hertie“ sich aus Görlitz zurückzieht war nicht vorauszusehen, es ist eine Konzernentscheidung, die man erst mal so hinnehmen muss. Die Verkaufsflächen haben auch nicht gerade die Ideale Anordnung durch den großen Lichthof.

Wenn man aber jetzt sieht, dass oben schon abgetrennte Verkaufsflächen existieren, sollte man vielleicht dies über die 1. bis 3. Etage so durchführen und kleinere Läden dort ansiedeln.Dies könnte mit Glasfronten zum Lichthof (Siehe Citycenter) geschehen. Bei diesen Maßnahmen wären vielleicht auch die Fensterfronten für die Besucher offen und man hat einen Wunderbaren Blick auf den Marienplatz und die umliegende Architektur. Im Erdgeschoss sollte aber die Fläche im Ganzen erhalten bleiben.

Habe ich mehrere Läden und einer davon steht leer, so habe ich zumindest noch Einnahmen durch die besetzten Läden. Das Kaufhaus muss nicht mehr geschlossen werden. Aber das ist nicht Sache der Stadt, sondern des Eigentümers. Die Stadt kann und sollte nur vermitteln. Was Herr Seifert dazu schreibt ist, glaube ich, nicht von Vorteil, durch eine Rolltreppe geht die Architektur des Gebäudes teilweise verloren und die ist es, die das Kaufhaus so einzigartig macht.

Ich würde anstreben, die Fahrstühle zu modernisieren, denn die sind vorhanden. Zum Vergrößern der Verkaufsflächen besteht eine Chance, aber dadurch würde der Lichthof verloren gehen. Der Eigentümer sollte bei der Suche von Investoren auf jeden Fall unterstützt werden.

Das Kaufhaus ist eine Perle von Görlitz und mit Perlen sollte man vorsichtig umgehen. Wenn der Eigentümer umbaut, kostet es immer Geld, hier sollte nach Förderungen gesucht werden. Wenn das alles passt, sind die Mieten auch erschwinglich. Ich glaube, durch ein Abtrennen der Verkaufsflächen können auch die Heizkosten gesenkt werden, da nicht mehr die Fläche im Ganzen zu beheizen wäre.

Mit freundlichen Grüssen

Engert Sven

Veränderungen zum Erhalt des Kaufhauses nicht verschliessen

Von René Seifert am 03.06.2009 - 21:05Uhr
Der Meinung von Herrn Stänker stimme ich zu. Natürlich würde ich mir auch wünschen, dass die einzigartige Architektur erhalten bleiben könnte.

Aber man sollte sich auch bewußt sein, will man eine langfristige Lösung mit einem Investor finden, muss man sich auch ggf. mit baulichen Veränderungen (z.B. Rolltreppen, Vergrößerung der Verkaufsflächen) auseinandersetzen, damit man den heutigen Ansprüchen eines Kaufhauses gerecht wird.

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  • Quelle: /red | /Fritz Rudolph Stänker
  • Erstellt am 02.06.2009 - 23:13Uhr | Zuletzt geändert am 03.06.2009 - 00:04Uhr
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