Petitionserfolg gegen Festival in Ostritz

Landkreis Görlitz | Ostritz, 11. April 2018. Eins ist sicher: Das übernächste Wochenende wird eine Menge Unruhe ins Neißestädtchen Ostritz bringen: Dann wollen sich hier Rechtsgesinnte zu einem "Schild und Schwert"-Festival treffen, was Andersgesinnte nicht einfach hinnehmen wollen. So sind Gegenveranstaltungen angekündigt und eine Online Petition bereits abgeschlossen.

Anzeige

Positionen von Bündnisgrünen und AfD

Die Petition, die der Kreisverband der Bündnisgrünen eingereicht hatte und die vom 27. Februar bis zum 9. April 2018 lief, sammelte immerhin 4.450 Unterzeichner. Unter der etwas holprigen Überschrift "NEIN zur Neonazi-Versammlung in Ostritz und im Landkreis Görlitz" hatten sich die Einreicher an den Görlitzer Landrat Bernd Lange und die Kreistagsabgeordneten gewandt und auf das Treffen "verfassungsfeindlicher Kräfte außerhalb des demokratischen Spektrums" hingewiesen.

Verkürzt formuliert wurden in der Petition drei Forderungen erhoben:

  1. die Versammlung verhindern
    Argumentiert wird mit dem Hinweis, dass "zu einer Versammlung kein Campen/Übernachten oder Kampfsport gehören und das Erheben von Eintrittsgeldern fraglich ist". Damit spielen die Petenten darauf an, wie weit das grundgesetzlich geschützte Versammlungsrecht dehnbar ist. Gefordert wird von Landrat und Kreisräten Transparenz über die Bemühungen, die Versammlung zu verhindern. Der Landkreis Görlitz und die Polizeidirektion Görlitz hatten am 9. April 2018 mit einer gemeinsamen Presseerklärung (Görlitzer Anzeiger vom 10. April 2018) ihre Einschätzung und Aktivitäten verdeutlicht.

  2. ein Sicherheitskonzept
    Damit soll gewährleistet werden, dass Bürger ihren "friedlichen Protest und gewaltfreien Widerstand gegen diese Versammlung" zeigen können. Außerdem soll die "Gefährdungslage soziokultureller Einrichtungen" berücksichtigt werden.

  3. der Kreistag möge das Thema behandeln
    Gefordert wurde eine öffentlicher Sitzung mit "Vorstellung des Sicherheitskonzepts und der Einsatzleitung". Am 28. März 2018 hat sich der Kreistag Görlitz gegen das rechtslastige Festival ausgesprochen.
Begründet wird die Petition mit der Sorge der Unterzeichner um Auswirkungen auf den Tourismus, wenn Ostritz als eine Heimat der rechtsextremen Szene markiert wird. Ebenso angeführt werden Bedenken, die Zahl der angemeldeten 750 Teilnehmer könnte überschritten werden. Außerdem wird die Sorge um die soziokulturellen Orte im Landkreis Görlitz zum Ausdruck gebracht.

Die Petition ist online nachlesbar und wird durch Pro und Contra Argumente ergänzt.

Bereits am 28. März 2018 hat die AfD-Fraktion im Görlitzer Kreistag eine Stellungnahme zur am gleichen Tag dort beschlossenen Resolution verbreitet. Die Resolution heißt die "Schild und Schwert"-Veranstaltung in Ostritz, ihre Organisatoren, ihre Unterstützer und ihre Gäste "hier nicht willkommen" und ruft dazu, sich dem Ostritzer Friedensfest als Form der Zivilcourage "für Menschenwürde und Vielschichtigkeit, gegen Rassismus, Antisemitismus und Ausgrenzung" anzuschließen.

Auch die AfD-Fraktionsmitglieder erklären ihre grundsätzliche Ablehnung der "Schild und Schwert"-Veranstaltung. Weiter heißt es in der Stellungnahme: "Allerdings sind wir der Meinung, dass die Gegenveranstaltungen nicht zur Deeskalation beitragen, da das Gewaltpotential nicht abzuschätzen ist. Wir lehnen jegliche Gewalt ab, ob von rechts oder von links. Wir werden aus diesem Grund an keiner dieser Veranstaltungen teilnehmen und fordern die Initiatoren der Gegenveranstaltungen auf, zum Schutz der Bürger von Ostritz ihre Veranstaltungen terminlich zu verschieben. Das Bürger- und Friedensfest in Ostritz wurde nicht von den Einwohnern von Ostritz initiiert. Die Veranstalter eines solchen Festes können sich gern eine Woche vorher an gleicher Stelle versammeln. Auch die angemeldete Linke Veranstaltung sollte ihren Termin verlegen, da wir aus Ostritz kein zweites Hamburg machen möchten."

Kommentar:

Demokratie wird lebendig durch widerstreitende Meinungen. Das bedeutet jedoch nicht, seine Meinung vor Gleichgesinnten zu vertreten und die Veranstaltung dann von den Medien verbreiten zu lassen. Deshalb ist es nicht nur für die Stadt Ostritz gut, wenn bei einer Veranstaltung wie dem "Schild und Schwert"-Festival auch jene übergroße Mehrheit der Bürger sichtbar wird, der seine Lehren aus dem Vorfeld und der Zeit der Nazidiktatur gezogen hat und für Demokratie und ein friedliches Miteinander eintritt.

"Ich bin doch kein Nazi!", wird in Sachsen oft Position bezogen, wenn gegen Flüchtlinge und Migranten argumentiert oder "Merkel muss weg" skandiert wird. Schon dieses "muss weg" ist ein Angriff auf die Demokratie: Eine demokratisch gewählter Mensch soll nicht etwa von seiner Position zurücktreten oder abgewählt werden, sondern "weg". Wer ist dann der nächste, der "weg" muss? Die Deutschen haben schon mal Millionen Menschen "weg"-, deutlicher gesagt: umgebracht. Mehrheit gegen Minderheit, das ist ein simples, aber funktionierendes Gesellschaftsspiel, mit dem sich Mehrheiten für eine menschenfeindliche Ideologie gewinnen lassen – quasi die Achillesferse der Demokratie. Da können trübe Tassen, die sich sehr zu Unrecht die "DDR"-Bürgerbewegung zu eigen machen wollen, von dieser lernen: In Leipzig und anderswo wurde nicht primitiv "Die Stasi muss weg!" gerufen, sondern "Stasi in die Produktion!" Da kann Frau Merkel ihre Fähigkeiten jedoch weit besser für das Gemeinwohl zur Wirkung bringen, wenn sie Bundeskanzlerin bleibt.

Man braucht der staatlichen Asylpolitik der letzten Jahre nicht in allen Bereichen zuzustimmen, aber man sollte nie vergessen, wie die Naziideologie vor und nach 1933 den Großteil der Deutschen zu Mitläufern und Mittätern machte. Besinnung auf "das Deutsche" unter Ausgrenzung des "Fremden", die scheinbar solidarische "Volksgemeinschaft" (bei klarer Unterscheidung zwischen nützlichem und unwertem Leben), die Betonung technischen Fortschritts und wirtschaftlicher Leistungen bei gleichzeitiger Einschränkung der Philosophie, die Politisierung und Simplifizierung von Kultur und Kunst (Stichwort "entartete Kunst"), die Einteilung von Menschen nach einer "Rassenlehre", nach der sich eine Mehrheit anderen gegenüber überlegen fühlte, das Führerprinzip – all das trug dazu bei, dass die Deutschen nach der "Schande von Versailles" und der Weltwirtschaftskrise wieder an ein starkes Deutschland glaubten, um in diesem Glauben schließlich Europa in Schutt und Asche zu legen und den Hass der anderen Nationen auf sich zu ziehen. Wer kein Nazi sein will, darf Nazis nicht den Weg bereiten.

Wer heute Angst vor "Überfemdung" hat, artikuliert damit seine, dem Menschen durchaus wesenseigene Angst vor Veränderung und damit verbundenen Ungewissheiten. Die beste Medizin dagegen sind feste humanistische Grundwerte und eigene Erlebnisse, die Vorurteile überwinden, aber auch die Diskussion um Einwanderung und Einbürgerung auf ein höheres Niveau heben.

Sich "dagegen" zu positionieren ist immer einfacher, als das "wofür" als gestaltende Kraft zu finden. Sollen sich doch bitteschön die Rechtsextremen auf dem Boden von Recht und Gesetz versammeln, da kann man sie und ihre Ansichten wenigstens erkennen; wofür aber unsere Gesellschaft eintritt, das zeigt sich und der Welt auf dem Friedensfest in Ostritz,

meint Ihr Thomas Beier

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Angegriffen?

Von Seensüchtiger am 12.04.2018 - 20:31Uhr
So sehr mich Neonazis anwidern: Warum bedeutet Demokratie nicht, "... seine Meinung vor Gleichgesinnten zu vertreten und die Veranstaltung dann von den Medien verbreiten zu lassen"?
Exakt das passiert bei den Parteitagen von CDU, den Grünen, der SPD, AfD, den Linken...

Schreiben Sie Ihre Meinung!

Name:
Email:
Betreff:
Kommentar:
 
Informieren Sie mich über andere Lesermeinungen per E-Mail
 
 
 
Weitere Artikel aus dem Ressort Weitere Artikel
  • Quelle: red | Kommentar: Thomas Beier | Foto: MK817 / michel kwan, Pixabay, Lizenz CC0 Public Domain
  • Erstellt am 11.04.2018 - 06:43Uhr | Zuletzt geändert am 08.11.2019 - 23:37Uhr
  • drucken Seite drucken
Anzeige