Kunst und Müll

Görlitz, 17. April 2006. Bitte notieren: CAFÉ KUNST – KUNST CAFÉ am 18. April 2006 um 19.30 Uhr im Café Kränzel in der Kränzelstraße 2, mitten in der Görlitzer Altstadt.

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Gesprächsreihe zur Theorie und Praxis zeitgenössischer Künste

*Kunst und Müll* ist das Thema innerhalb der Gesprächsreihe zur Theorie und Praxis zeitgenössischer Künste mit Binas und Solari.

Der Weg, den ein Gebrauchsgegenstand nehmen kann, lässt sich auch als Ebenverlagerung beschreiben: von Angebot zu Transport, Gebrauch, (ab-)Fallen und Vermüllung. Allerdings sollte aus Sicht der Gebrauchsbedürfnisse dieser Weg ein zeitlich sehr langer sein, er sollte dauern bis zum natürlichen Verschleiß der Dinge; aus der Sicht der Anbieter ist heute dieser Werdegang ein viel zu langer, also zu beschleunigender. Und so müssen weitere Mittel gefunden werden, die den natürlichen durch “moralischen", vor allem aber “ästhetischen" Verschleiß ersetzen. Vermüllung kann so schnell zum Fokus einer auf Wachstum programmierten Gesellschaft/Wirtschaft werden. Allerdings benötigen wir dazu Ressourcen, die wir (meist nur) teilweise (ver-)brauchen und dann verwandeln in Reste oder Gerümpel oder eben Müll. Doch wohin damit?

Als immer gierigere und zahlreichere (End-)Verbraucher haben wir inzwischen ein größeres Entsorgungs- als Versorgungsproblem, das wie ein Schatten jeden Konsum begleitet. An den Rändern unserer Zügellosigkeit bauen wir dann “Kathedralen des Mülls" oder besser noch “Krematorien der gestorbenen Dinge", die alles verschwinden lassen, was von einer wohlhabenden Zahl von Menschen als wertlos deklariert wurde. Was sich nicht in Wärme, Gas und Splitt verwandeln lässt, steht der Gegenwartsarchäologie KUNST mit langer Halbwertzeit zur Verfügung; als Erinnerung, als Panoptikum, als Zurichtung der Welt nach Maß der ihr eigenen Komplexität ohne Schwerpunkte und Bedeutung, als Material nach dem Ende der künstlerischen Gestaltungskraft, als Dunkel, aus dem das Schöne erst zu leuchten vermag, als Gegensatz zu sich selbst als dem Wertvollen, als Zwischenzone von Künstlichem und Kunst, von Ekel /und /den babylonischen Türmen, zwischen denen wir schweifen und uns verlieren und in eine Zukunft ohne Zukunft gleiten. Die Müllhalde als Garten und Gedächtnis, als schlechtes Gewissen?

Nein, doch eher als Vollendung eines Prinzips. Müllkunst, Kunst mit Müll, Kunst als Müll, Kunst über und zu Müll, das zu Müll Werden der (zu vielen) Kunst: "Was gemeinhin als Recycling gilt, lässt sich nun als Verzauberung des Materials erleben. Die Verteidigung der Poesie des Abfalls zelebriert die Schönheit und Anmut der letzten Dinge". "Als Archäologen der Gegenwart verwandeln die Müllkünstler Relikte des Alltags zu Reliquien des Profanen." (Paolo Bianchi)

Kunst wird so wieder zum Widerstand gegen die "Löcher und schwarzen Flecken in der Geschichte". Die entstehen dann, wenn "das Individuum in Zeiten der Überkonsumption seine Differenzierungskompetenz für die Kriterien von Werthaftigkeit und Wertlosigkeit zunehmend zu verlieren scheint" (Kathrin Luz). Ein Bonmot nach dem Ende der Postmoderne lautet: “Die Postmoderne heißt eigentlich Kompostmoderne" (Roger Fayet). Wenn sich also Kunst mit Müll, Abfall, Schmutz befasst, sich einverleibt, bedeutet das mehr als eine Erweiterung der künstlerischen Gestaltungsmittel. Schon Joseph Beuys hatte den Blick dafür: “Wenn du ein waches Auge hast für das Menschliche, kannst Du sehen, dass jeder Mensch ein Künstler ist. Ich war jetzt in Madrid und habe gesehen, wie die Männer, die bei der Müllabfuhr arbeiten, große Genies sind. Das erkennt man an der Art, wie die ihre Arbeit tun und was für Gesichter sie dabei haben. Man sieht, dass sie Vertreter einer zukünftigen Menschheit sind" (1985)

Müllkünst ist mehr als nur Provokation, sie ist begreifbar als ein zivilisatorischer Akt existenzieller Selbstbehauptung.

"Auch im Weltall sammelt sich immer mehr Müll an. Als Abfall der Sonderklasse erhält Atommüll massiven Polizeischutz und große TV-Aufmerksamkeit. Schließlich überlebt er uns über viele Hunderte von Generationen, bringt uns um unsere Zeugungsfähigkeit und kostet Unsummen in der Entsorgung. Unerträglich, dass täglich Menschen auf den Müllkippen der Hauptstädte der Dritten Welt auf frischen Abfall warten in der Hoffnung, darin Wiederverwendbares zu finden. Müll ist die Herausforderung Nr. 1, wenn es um eine gerechte Welt geht." (Paolo Bianchi)

Es lohnt sich also darüber zu sprechen, wie aus Abfälligem etwas Auffälliges gemacht werden kann.

Eine Veranstaltungsreihe von Professor Eckehard Binas, Héctor Solari und dem Förderverein Kulturhauptstadt Görlitz-Zgorzelec 2010 e.V.

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  • Quelle: /FVKH /Eckehard Binas
  • Erstellt am 17.04.2006 - 20:22Uhr | Zuletzt geändert am 21.02.2022 - 19:53Uhr
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