Big Brother now?

Dresden | Berlin, 3. September 2006. Vor der Sonder-Innenministerkonferenz (IMK) am 4. September 2006 in Berlin forderte Sachsens Innenminister Dr. Albrecht Buttolo einen Kompromiss bei der Antiterrordatei und den Ausbau der Videoüberwachung.

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Antiterrordatei, Videoüberwachung und Sicherheitswacht

Im Vorfeld der Sondersitzung der Innenministerkonferenz am morgigen Montag in Berlin äußerte sich Sachsens Innenminister Dr. Albrecht Buttolo heute in Dresden zu einem möglichen Kompromiss in Bezug auf eine umfassende Antiterrordatei: "Sachsen hat sich bei den bisher zwischen Bund und Ländern geführten Gesprächen immer für eine Mischform zwischen Index- und Volltextdatei stark gemacht. In einer solchen Datei könnte die Polizei sehen, ob andere Sicherheitsbehörden - also auch Nachrichtendienste - Daten zu einer Person in die Datei eingestellt haben. Gleichzeitig könnte die Polizei erweiterte Rahmendaten (z.B. Wohnanschrift, Telefonnummer) zu dieser Person speichern und abrufen. Damit bleibt die Datei jedoch weit unterhalb der Definition einer Volltextdatei. Hierin sehe ich einen Kompromiss, dem aus meiner Sicht alle folgen könnten."

Gleichzeitig erneuerte Buttolo seine Forderung nach einer sinnvollen Ausweitung der Videoüberwachung auf Bahnhöfen, Flughäfen und im öffentlichen Nahverkehr: "Man sollte die Videoüberwachung und -aufzeichnung aus meiner Sicht ausweiten. Nicht nur auf Bahnhöfen und Flughäfen sondern auch in Straßenbahnen und U-Bahnen ist eine Videoüberwachung auf alle Fälle zu überlegen", sagte Buttolo. Aus seiner Sicht müssen alle technisch möglichen Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung angewendet werden. "Ich verspreche mir davon neben der Abschreckung potenzieller Täter auch eine nachhaltige Stärkung des subjektiven Sicherheitsgefühls der Bürger und insbesondere der Reisenden", so Buttolo weiter. In Sachsen habe man bereits gute Erfahrungen mit Überwachungskameras in Fußgängerzonen und in Bahnhofsbereichen gemacht. Wenn es nach einem drohenden oder auch einem schon erfolgten Anschlag gelingt, die Täter durch Videomaßnahmen zu fassen, dann können bei Wiederholungstätern weitere geplante Anschläge sehr wohl verhindert werden.

Weiter sagte Buttolo: "Der Fahndungs- und Ermittlungserfolg der deutschen Sicherheitsbehörden, der schlussendlich zur Festnahme der Täter des versuchten Kofferbombenanschlages in Nahverkehrszügen geführt hat, ist weitestgehend auf die Auswertung von Videoaufzeichnungen im Bereich der Deutschen Bahn AG zurückzuführen. Das hat mich bereits vor der Sonder-IMK veranlasst, die sächsische Polizei zu beauftragen zu überprüfen, ob es in Sachsen im Umfeld gefährdeter Verkehrseinrichtungen Sicherheitslücken in der Videoüberwachung gibt. Diese Lücken müssten dann im Zusammenwirken zwischen Bundespolizei, Deutscher Bahn AG, Unternehmen des öffentlichen Personen- und Nahverkehrs und der sächsischen Landespolizei geschlossen werden. Ebenso wird die sächsische Polizei auf die Unternehmen des ÖPNV zugehen, um hier eine erhöhte Sensibilisierung des Betriebspersonals zu erreichen, auf verdächtige Umstände, z. B. herrenlose Gepäckstücke, zu achten."

Darüber hinaus will Buttolo die Kapazitäten der sächsischen Sicherheitswacht auszuweiten - Begründung: Auch diese "Komponente des sächsischen Sicherheitsnetzes" soll verstärkt im Umfeld von gefährdeten Verkehrseinrichtungen eingesetzt werden.


Kommentar: Ich habe neuerdings zwei Probleme:

Während ich früher beim Besuch einer öffentlichen Toilette, besonders auf dem Bahnhof, vor der Benutzung die Hütte erstmal nach einem verborgenen Sprengsatz absuchte, kommt jetzt die Suche nach einer verborgenen Überwachungskamera hinzu.

Nein, das ist nicht lustig - wenn von "gefährdeten Verkehrseinrichtungen" gesprochen wird, ohne dass es eine konkrete Bedrohung gibt. Aus den zum Glück schiefgegangenen Rucksackanschlägen auf eine brisante Dauerbedrohung zu schließen riecht förmlich nach der Suche nach einem willkommenen Anlass, die Überwachung der Menschen stark auszubauen. Oder vielleicht hatte gar jemand mangels Bedrohung ein schlechtes Gewissen?

Die Terrorgefahr muss ernst genommen werden. Dazu gehört vor allem, die sozialpsychologischen Hintergründe der Terrorneigung zu erhellen und hier anzusetzen. Auch eine totale Überwachung könnte Terror nicht verhindern.

So viel Überwachung wie nötig, aber nicht wie möglich, muss die Devise sein. Sonst würde aus der IMK eine Art IM-Konferenz. Nach "1984" (Roman von Orson Welles, in dem "Big Brother" einen totalen Überwachungsstaat geschaffen hat) haben wir noch fünf Jahre gebraucht, um den realen Big Brother hinter uns zu lassen. Dort soll er auch bleiben und nicht in Hi-Tech-Form wiederkommen.

/Fritz Stänker

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  • Quelle: /SMI
  • Erstellt am 03.09.2006 - 23:12Uhr | Zuletzt geändert am 26.06.2021 - 14:03Uhr
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