Sorbisches Siedlungsgebiet weiter verheizen?

Klitten / Klětno, 4. Februar 2015. Von Benedikt Dyrlich. Vor 25 Jahren, am 2. Februar 1990, teilte die DDR-Regierung einer Vertretung der Domowina und der Sorbischen Volksversammlung mit, dass das Dorf Klitten in der Lausitz nicht devastiert wird. Das war ein mutiger und bis heute einmaliger Beschluss im Zusammenhang mit der Devastierung sorbischer Dörfer. Als Beteiligter und Zeitzeuge habe ich einige Erinnerungen dazu aufgeschrieben, über die ich am Sonntag, dem 1. Februar 2015, in Klitten während einer Festveranstaltung im vollbesetzten Saal berichtet und sie damit öffentlich gemacht habe – in Anwesenheit des Görlitzer Landrates Bernd Lange (CDU). Für mein Statement bekam ich sehr viel Beifall, weil ich auch die derzeitige Kohle- und Wirtschaftspolitik der CDU, SPD sowie der Linken in Sachsen und Brandenburg sowie im Bund kritisiert habe, weil sie zulassen, dass der schwedische Vattenfall-Konzern weitere sorbische Sprach- und Kulturräume devastieren will, darunter den noch authentischen sorbischen Ort Rohne / Rowno.

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Vor 25 Jahren – ein hoffnungsvolles Signal aus und für die Lausitz: "Klitten bleibt stehen!"

"Das Heimatland der Sorben darf nicht weiter verfeuert werden!" - so oder ähnlich klangen die Aufrufe sorbischer Schriftsteller und Künstler in den entscheidenden Wochen und Monaten der friedlichen Revolution im Herbst 1989. Dabei gingen aus dem damaligen Arbeitskreis sorbischer Schriftsteller (deren stellvertretender Vorsitzender ich war) und aus der Betriebsgruppe der Domowina des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters in Bautzen (deren Vorsitzender ich war) mehrere Initiativen aus. Allesamt richteten sie sich gegen die weitere Verwüstung der Lausitz durch die Kohleindustrie. Wir wussten ja aus nicht offiziellen Quellen, dass von 1970 bis 1989 fast 5.000 Menschen in der zweisprachigen Lausitz aus ihren gewachsenen Siedlungsräumen vertrieben und ihre Dörfer einer rabiaten Energiepolitik geopfert worden sind.

In einem offenen Brief vom 24. Oktober 1989 an Hans Modrow in Dresden und Werner Walde in Cottbus, über den mehrere Tages- und Wochenzeitungen berichteten, wies ich auf den "gnadenlosen Raubbau" und die folgenschwere Einebnung einer reichen Sprach-, Kultur- und Naturlandschaft hin. Neben Jurij Koch habe ich diese Problematik bereits auf dem 10. Schriftstellerkongress der DDR Ende November 1987 in Berlin in der Arbeitsgruppe "Literatur und Welt" direkt zum Ausdruck gebracht. Das war damals sehr schwierig, da sich sogar die Spitzen der Domowina und des Schriftstellerverbandes der DDR auch in dieser Frage gänzlich oder weitestgehend der SED unterworfen haben.

Die Forderung nach einer Wirtschaftspolitik, "die weitere sorbische und deutsch-sorbische Dörfer und die Lebensumwelt des sorbischen Volkes nicht zerstört", wurde auch in die Resolution der "Sorbischen Volksversammlung" am 11. November 1989 in Bautzen aufgenommen. Die erste Petition dieser sorbischen Bürgerbewegung wurde der Volkskammer der DDR übermittelt.

An der großen Demonstration zur Erneuerung und Demokratisierung acht Tage später in Dresden nahmen auf Initiative der Mitglieder der Domowina im Deutsch-Sorbischen Volkstheater mehr als 50 Künstler aus dem Sorbenland teil. Wir trugen an jenem Sonntag durch Dresden ein großes Transparent mit der Aufschrift "Nationalitätenpolitik in der DDR – die Vernichtung sorbisch-deutscher Dörfer".

Die Kontakte, die wir im sorbischen Kunst- und Kulturbereich zu Journalisten, Politikern, Verbänden und Organisationen von Schriftstellern und Künstlern auch außerhalb der Lausitz pflegten oder gerade neu entwickelten, nutzten wir in den Wochen und Monaten des Aufbruchs zu weiteren Aktionen, nun aber in konkreter Solidarität mit den Betroffenen und mit neuen Partnern aus dem deutschlandweiten Medienbereich.

In den Mittelpunkt unseres anfänglichen pauschalen Rufes nach einer Wende in der Energiepolitik rückte dabei sehr schnell die Rettung des Dorfes Klitten / Klětno im damaligen Kreis Niesky (heute Landkreis Görlitz). Dessen Bewohner bäumten sich schon lange (seit 1987) gegen die drohende Abbaggerung ihres Dorfes auf, mit Gebeten und Unterschriften. Nun aber riefen sie von einem Runden Tisch aus nach Hilfe und Solidarität und organisierten wöchentliche Demonstrationen.

Schon Anfang des Jahres 1989 habe ich in der sorbischen Zeitung "Nowa Doba" / "Neuer Tag" eine ziemlich versteckte Meldung gelesen, dass auf den beiden Klittener Friedhöfen keine Beisetzungen mehr stattfinden dürfen. Diese erschütternde Nachricht rückte wieder in mein Bewusstsein, als ich von dem sorbischen Lehrer und Komponisten Hync Roj / Heinz Roy und weiteren Klittenern Mitte November 1989 um direkte Hilfe angesprochen worden bin.

Aus der Bereitschaft wurde sogleich tatkräftige Unterstützung im Verbund mit vielen Freunden, Bekannten und vor allem mit den Hauptakteuren vor Ort. Ich selbst habe dabei unterschiedliche Pressevertreter und Redner in das schon "abgeschriebene" Dorf geführt, darunter waren Tilmann Zülch von der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen und der Schriftsteller Jurij Brězan aus Räckelwitz / Horni Hajnk. Viele sorbische Autoren und Künstler – darunter Jurij Koch, Tomasz Nawka, Benno Schramm, Majka Kowarjec und Hanka Mikanowa – waren fortan aktiv an den Demonstrationen der Bürger aus Klitten beteiligt. Letztendlich waren es aber die Klittener selbst, welche die Bagger buchstäblich in letzter Minute gestoppt hatten.

Die erlösende Nachricht, dass das Dorf "stehen bleibt", löste auch in mir Jubel und Genugtuung aus. Ich konnte dabei sein, als am 2. Februar 1990 Hans Modrow in Berlin eine sorbische Delegation der Domowina und der "Sorbischen Volksversammlung" über einen Beschluss der DDR-Regierung informierte, der Klitten wieder eine Zukunft gab.

Benedikt Dyrlich
(aus unveröffentlichten Erinnerungen)

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  • Quelle: Benedikt Dyrlich | Abbildungen: Privat
  • Erstellt am 04.02.2015 - 14:15Uhr | Zuletzt geändert am 12.02.2015 - 14:12Uhr
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