Görlitzer Bibel in Weißrussland

Görlitz | Minsk (Мiнск) | Neswish (Нясвіж). Die Entdeckung der sogenannten Skaryna-Bibel, einer kulturgeschichtlich wertvollen Bibelübersetzung des weißrussischen Humanisten Francysk Skaryna, im Bestand der Milich´schen Bibliothek in Görlitz im Jahr 2003 sowie deren Präsentation in Minsk und Sofia durch Professor Norbert Randow hatten dann im Jahr 2005 international für Aufsehen gesorgt. Seitdem gab es mehrere Versuche auf diplomatischer und auf wissenschaftlicher Ebene, das kostbare Buch in Weißrussland zu zeigen. Nun ist es der Deutschen Botschaft in Zusammenarbeit mit der Nationalbibliothek Minsk, dem Kulturhistorischen Nationalmuseum Neswish und der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften gelungen, die Präsentation im Rahmen der Deutschen Woche in Weißrussland (Belarus) zu organisieren.

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Die Geschichte einer Bibel-Entdeckung

Als 2003 in Deutschland das Jahr der Bibel begangen wurde, hatte auch die Oberlausitzische Bibliothek der Wissenschaften in Görlitz eine kleine Präsentation mit Bibeldrucken aus ihrem Bestand vorbereitet. "Nachdem wir Lutherdrucke, eine Londoner Polyglottenbibel aus dem Jahr 1657 und ein Exemplar der 1759 in Moskau gedruckten Elisabeth-Bibel ausgewählt hatten, schauten wir intensiver in die alten, zum Teil aus dem 18. Jahrhundert stammenden handschriftlichen Kataloge“, erinnert sich der Bibliotheksleiter Matthias Wenzel. Als einer der Einträge "Biblia Slavica, Prag 1517" lautete, wurden die Fachleute neugierig. Sie nahmen den Band aus seinem Regal, fanden ihn attraktiv und thematisch passend und fügten wir ihn der Ausstellung hinzu.

Nach Ausstellungsende wäre das Buch wohl wieder im Regal gelandet, wenn nicht der Görlitzer Theologe Peter Lobers, der einige Jahre als Dozent in St. Petersburg gearbeitet hatte und des alten Kirchenslawisch mächtig ist, den Band in der Vitrine gesehen hätte. Er wies auf den besonderen Wert dieses Druckes hin und vermittelte den Kontakt zu Professor Norbert Randow, dem Doyen unter den Übersetzern weißrussischer Literatur in Deutschland.

Das erste in einer ostslawischen Sprache gedruckte Buch

Die von Skaryna übersetzte und auch gedruckte Bibel ist das erste jemals in einer ostslawischen Sprache gedruckte Buch. Die 658 Blätter bzw. 1.316 Seiten sind in den Jahren von 1517 bis 1519 in Prag entstanden.

Von allen Drucken Skarynas sind bis heute noch 258 Exemplare bekannt, wovon allerdings nur eins in Deutschland ist: Die in der Oberlausitzischen Bibliothek befindliche Bibel.

Wer war Francysk Skaryna?

Francysk Skaryna hat in Krakau (Kraków) die Freien Künste und dann ergänzend Medizin studiert, 1512 bestand er sein Doktorexamen in Padua. Danach hat er sich vermutlich in Venedig, Nürnberg und Augsburg die Kenntnisse des Buchdrucks angeeignet. 1517 begann er in Prag, die Bibel in die in seiner Heimat gängige Schriftsprache des Altweißrussischen zu übersetzen und zu drucken, eines der ersten mit kyrillischen Lettern gedruckten Bücher.

Das Görlitzer Exemplar von Skarynas Bibel besteht aus zwei Konvoluten, von denen das erste den Pentateuch enthält, der 1519 gedruckt wurde. Bereits ein Jahr zuvor waren das Buch Josua, die beiden Bücher der Könige, das Buch der Weisheit nebst dem Gebet des Manasse entstanden. Sämtlichen Büchern sind Vorworte und Nachbemerkungen von Skaryna selbst beigegeben, ein großes Vorwort führt in die ganze Bibel ein.

So kam die Skaryna-Bibel nach Görlitz

Die Bibel in den Bestand der Milich´schen Bibliothek zu Görlitz gelangte, ist inzwischen bekannt: Handschriftliche Einträge früherer Eigentümer weisen den namhaften Breslauer Reformator Johannes Hess (1490 - 1547) als einen der Vorbesitzer nach. Nach seinem Tode kam das Exemplar in den Besitz des Görlitzer Juristen Daniele Staude (1566 - 1616), der es 1615 der Bibliothek des Görlitzer Gymnasiums schenkte.

Zuerst beschrieben wurde der Band 1737 von Christian Knauthe in seiner "Historischen Nachricht von denen Bibliotheken in Görlitz": "Die erste Classe davon enthält die Theologischen Bücher nebst denen, welche ad Historiam ecclesiasticam gehören. … In gleichen die Bibel in Moskowitischer Sprache, ohne eine beygesetzte andere Übersetzung; mit Moskowitischen Literis gedruckt. Der Titel lautet Übersetzet: Biblia Russiaca explicata a Doctore Francisco Skorino e celebri urbe Plozki, in honorem Dei et universis hominibus ad meliorem informationem: Pragae in civitate veteri 1518. in 4. maj.“ Die "Moskowitischen“ (kyrillischen) Buchstaben sind also durch Knauthe bereits gelesen worden.

Ausstellung in Minsk und Neswish

Vom 4. bis 10. Oktober 2012 wird die Skaryna-Bibel in der Nationalbibliothek in Minsk ausgestellt, vom 15. bis 24. Oktober ist sie im Kulturhistorischen Nationalmuseum Newish zu bestaunen. Bibliothekar Matthias Wenzel wird das Exemplar aus dem Görlitzer Bestand persönlich nach Minsk bringen, wo er während der Eröffnung einen einführenden Beitrag zur Geschichte des Bandes sowie zur Vorstellung der Oberlausitzischen Bibliothek der Wissenschaften halten darf. "Es ist eine große Ehre für die Stadt Görlitz“, freut er sich.

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  • Quelle: red | Grafik: Stadtverwaltung Görlitz
  • Erstellt am 10.10.2012 - 07:42Uhr | Zuletzt geändert am 10.10.2012 - 08:25Uhr
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