Farewell Halong - Vietnam ganz nah

Farewell Halong - Vietnam ganz nahCottbus / Chóśebuz, 12. November 2017. Von Thomas Beier. Das heute endende FilmFestival Cottbus, gegründet 1991 als Kind der Friedlichen Revolution, wird als das wichtigste Festival des osteuropäischen Films gesehen. in seiner diesjährigen, 27. Auflage widmete es sich in der Sektion FOCUS "Vietnam in Europa" (Việt Nam ở châu Âu) der Migrationsgeschichte vietnamesischer Vertragsarbeiter und ihrer Kinder in Mitteleuropa.
Von links: Clemens Beier, Đức Ngô Ngọc, der Regisseur von Farewell Halong, und Moderator Hambach.

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Tief humane Sicht auf selbstbestimmte Lebensweise

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Thema: Woanders

Woanders

"Woanders" – das ist das Stichwort, wenn der Görlitzer Anzeiger auf Reisen geht und von Erlebnissen und Begegnungen "im Lande anderswo" berichtet. Vorbildliches, Beispielhaftes und Beeindruckendes erhält so auch im Regional Magazin seine Bühne.

Filmfreunde aus aller Herren Länder nach Premiere und Diskussion vorm Glad-Hause Cottbus, von links: Ivo Karrasch, kunstsinniger Unternehmer aus Berlin, der aus Markersdorf-Holtendorf stammende Regiestudent Clemens Beier, jetzt Berlin, der Regisseur von Farewell Halong Đức Ngô Ngọc, ebenfalls aus Berlin, Steeven Fabian Bonig, Ex-Görlitzer Dichter, und die Studentin der Filmproduktion Julia Klett, Lübeck/Berlin.

Vietnam – das nahe ferne Land

Die Wahrnehmung Vietnams beginnt für mich mit dem Vietnam-Krieg und angesichts der Kriegsverbrechen wie dem Einsatz von Agent Orange und dem Massaker Sơn Mỹ (Mỹ Lai) war es selbstverständlich, der "DDR"-Staatsdoktrin zu folgen und sich für Nordvietnam zu engagieren. Die nächste Begegnung mit Vietnam, das waren die Vertragsarbeiter, die in den siebziger Jahren – neben Polen und der Tchechoslowakei – auch in die "DDR" kamen. Sie wurden streng kontrolliert und von der Bevölkerung abgeschirmt, standen aber im Ruf, freundlich und fleißig zu sein. Die dritte Episode der Wahrnehmung kam 1990, als die Vertragsarbeiter nach Hause geschickt werden sollten, sehr viele von ihnen aber bleiben wollten und begannen, sich wirtschaftlich durchzuschlagen. Beliebteste Branchen waren der illegale Zigarettenhandel und der legale Einzelhandel. Heute gelten die Vietnamesen als Musterbeispiel gelungener Integration in Deutschland, was vor allem ein Verdienst der Vietnamesen selbst ist. Auffällig ist, welch großen Wert die Familien auf Bildung legen, um damit Chancen für ihre Kinder zu eröffnen.

Der Regisseur

Kind eines früheren Vertragsarbeiters, der Frau und Kind erst Jahre später nachholen konnte, ist Đức Ngô Ngọc, Regiestudent an der Filmuniversität Konrad Wolf in Babelsberg. Aufgefallen ist er bislang mit Filmen, die von Verstand und Witz gekennzeichnet sind wie "Obst & Gemüse", der die mühevolle Integration eines deutschen Mitarbeiters in einen vietnamesischen Lebensmittelladen in Berlin thematisiert. Gestern nun die große Welturaufführung von "Farewell Halong" auf dem Festival, einem 98-minütigem Dokumentarfilm, so voller Authenzität, dass die Grenzen zum Spielfilm zu verschwimmen scheinen. "Schließlich war ich Teil der Familie", wird der Jungregisseur später über die Dreharbeiten und die Arbeit mit den Protagonisten erzählen.

Der Film

Doch worum geht es? In der Halong-Bucht leben Menschen seit Generationen auf dem Wasser in schwimmenden Häusern, die sie selbst gebaut haben. Doch um den Tourismus zu fördern und der UNESCO ein Zeichen in Bezug auf den Umweltschutz zu geben, lässt die Regierung die Leute im Jahr 2014 zwangsweise aufs Festland umsiedeln - ein Vorzeigeprojekt mit einem extra für sie angelegten Stadtteil. Vom Leben auf dem Wasser, der Nachricht von der Umsiedlung, der Räumung und Zerstörung der Häuser und vom Ankommen in der Stadt erzählt der Film. Er zeigt, wie die neuen Rahmenbedingungen soziale Strukturen zerstören und tragische Einzelschicksale erzeugen. Heute lebt die Hälfte der Umgesiedelten wieder auf dem Wasser – nicht auf Flößen oder in schwimmenden Häusern, denn das ist verboten. Hausboote hingegen sind erlaubt.

Đức Ngô Ngọc erzählt all das unaufgeregt, in eindringlichen Bildern. Erinnerungen an "Abschied von Matjora" von Larissa Schepitko und Elem Klimkow steigen hoch, die dem Film eigene, tief humane Sicht vermittelt auch Farewell Halong.

Für den Film (gefördert von der Mitteldeutschen Medienförderung) standen 48 Drehtage zur Verfügung - angesichts der Bürokratie vor Ort eine kurze Zeit. Fünfmal musste Đức Ngô Ngọc, teils mit Kameraleuten, nach Vietnam fliegen. Insgesamt nahm die Filmproduktion über ein anderthalbes Jahr in Anspruch. Ein wenig "Holtywood(NRTM)" war auch im Spiel: Studienfreund und Regiekollege Clemens Beier aus Holtendorf bei Görlitz, wie Đức Ngô Ngọc KAMMER11 Filmkollektiv-Mitbegründer, war an den Dreharbeiten beteiligt. Der lobt die Bauhaus-Universität in Weimar, wo er seinen Bachelor-Abschluss gemacht hatte: "Dort mussten wir alles selbst machen, vom Drehbuch über die Aufnahme bis zum Schitt. Das kommt mir beim viel spezialisierterem Regiestudium an der Filmuniversität in Potsdam-Babelsberg jetzt sehr zugute."

Der Erfolg

Zur Uraufführung war das Kino im Glad-Haus Cottbus nicht nur bis auf den letzten Platz ausverkauft, nein, es mussten sogar stapelweise Zusatzstühle herangekarrt werden. Entsprechend ausgiebig war die anschließende Diskussion mit den Premierenpublikum. Regisseur Đức Ngô Ngọc nutzte die Möglichkeit, seinen Eltern dafür zu danken, dass sie seinen langen und für viele ungewöhnlichen Ausbildungsweg unterstützten. Nachdem er den Dank auf vietnamesich wiederholt hatte – Eltern und Schwester, Freunde und weitere Verwandte waren angereist – dankte ihm das Publikum mit einem besonders herzlichem Beifall.

Was zwischendurch geschah

Đức Ngô Ngọc (Đức heißt übrigens "Deutscher", ein bei Vertragsarbeitern beliebter Vorname für ihre Söhne) war zum Beginn der Farewell Halong-Uraufführung anwesend und auch zum Schluss, doch dazwischen – vom Publikum unbemerkt – verschwunden. Er musste zur Stadthalle Cottbus eilen, um für seinen Film den "DIALOG – Preis für die Verständigung zwischen den Kulturen", gestiftet vom Auswärtigen Amt, entgegenzunehmen. Salopp gesagt: Da hat es den Richtigen getroffen.

P.S.: Die Filmmusik kommt vom kongenialen Martin Kohlstedt.

Im Überblick:
Alle Preisträger des FilmFestivals Cottbus (FFC)

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 12.11.2017 - 13:32Uhr | Zuletzt geändert am 03.08.2020 - 10:25Uhr
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