Görlitz: Weltkulturerbe Obermarkt 26 in Gefahr!

Görlitz, 22. März 2016. Von Thomas Beier. Wer will behaupten, Weltkulturerbe sei nur, was den Stempel der UNESCO aufgedrückt bekommen hat? Nähern wir uns dem Thema: Gestern war "Welttag der Poesie" (World Poetry Day der UNESCO) - Anlass für den Görlitzer Dichter und Installationskünstler Steeven Fabian Bonig (Bone) und seine Freunde, zu einer Veranstaltung ins vino et cultura am Görlitzer Untermarkt zu laden. Was ganz klassisch mit der "Ode an die Freude" (Am Flügel: Schraubenyeti, Bariton: Hans-Peter Struppe) begann, kam über Schillers "Der Handschuh" (Steeven Fabian Bonig) dann doch auf den Punkt, der die freie Görlitzer Künstlerszene in diesen Tagen bewegt: Das Schicksal des bedeutenden Görlitzer Künstlerhauses am Obermarkt 26.
Abbildung oben: Nahezu unbemerkt haben reisende Zimmerleute immer wieder ehrenamtlich geholfen, die Substanz des Künstlerhauses Obermarkt 26 so in Schuss zu halten, dass der Verfall gestoppt werden konnte. Sitzend: Steeven Fabian Bonig.

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Eine revolutionäre Situation

In einer Mischung aus Beteiligtem und Betroffenem moderierte der Dresdner Musiker Rany den Abend. Ein Multitalent, dem es gelang, die Betroffenheit über den möglichen Verkauf des Görlitzer Künstlerhauses auf das Publikum zu übertragen. Ein Hotel könnte hier entstehen - doch kommen die Gäste der Stadt nach Görlitz, weil es hier Hotels gibt?

Das Görlitzer Künstlerhaus - auch Bonehaus genannt - gibt seinen Besuchern ein Gespür für die Zeiten, weckt in ihnen kindliche Neugier, Erinnerungen und Staunen. Vor allem aber ist es ein Denkmal für den Zustand der Stadt im Jahr 1989, die sich heute totsaniert und damit die Spuren ihrer Geschichte so sehr auswischt (Stichwort: Synagoge Otto-Müller-Straße), als ob das schlechte Gewissen regieren würde.

Es ist ein Glücksfall für die Stadt, dass Steeven Fabian Bonig sich vor zehn Jahren dieses Hauses angenommen hat und damit zugleich ein Begegnungsort für junge Künstler entstanden ist. Immerhin sind hier Projekte wie das Görlitz Artist Summer Camp "Bohemian Crossings - Crux Bohemica" zum Leben erweckt worden.

Und es ist ein Glücksfall, dass der Eigentümer das künstlerische Experiment zugelassen hat - Bone hat ausdrücklich dafür gedankt. Doch nun die Kunst einigen - vermeintlich in ihrer Ruhe - gestörten Bürgern zu opfern, um sich von der Belastung als Eigentümer zu befreien, kann nicht der Sinn sein.

"Man merkt bei Herrn Bone: Das is keen Flachwurzler", so der Dresdner Kabarettist und Schauspieler Uwe Steimle in einer Einspielung. Und auch im Film über das Künstlerhaus von Daniel Arnold gab es Wertschätzung von vielen Seiten, von Görlitzer Kunstinteressierten bis zum sächsischen CDU-Generalsekretär und Bundestagsabgeordneten Michael Kretschmer. Ein beeindruckender Film, der Görlitz sympathischer macht als jede Hochglanzbroschüre. Und die Schlusszene: Bone hoch über dem Künstlerhaus und der Görlitzer Altstadt auf einem frei stehenden Schornstein, als Glücksbringer den Schornstein reinigend, lässig und cool, aber sicher stehend: Was kost' die Welt?!

Was tun?

Eine revolutionäre Situation ist entstanden: Der Mieter Bone kann nicht mehr, wie er will, der Vermieter will nicht mehr, wie er kann. Was tun (Ленин: Что делать?) also?

Ein verwegener, aber zugleich vielleicht auch der einzig realistische Gedanke ist der Erwerb des Gebäudes durch die Stadt Görlitz (oder die Übernahme in Erbpacht) und die Zuordnung zu den Görlitzer Sammlungen - Kulturhistorisches Museum. Damit würde dieser Einrichtung ein höchst authentisches Objekt inklusive Sammlungen zuteil, das zugleich Ort künstlerisch-intellektuellen Lebens ist. Das dürfte unterm Strich übrigens nur einen Bruchteil eines suventionierten Jugendzentrums kosten, wäre aber für die Görlitzer Kulturszene wie auch für den Tourismus wichtig - und Spräche für Mut und Kulturverstand in der Stadt.

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
  • Erstellt am 22.03.2016 - 10:14Uhr | Zuletzt geändert am 23.03.2016 - 10:17Uhr
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