Sprachregelung beim Görlitzer Anzeiger
Görlitz, 9. Juni 2017. Vorgestern hatte der Görlitzer Anzeiger in Andeutungen von seiner jüngsten Redaktionsvollversammlung berichtet – in Andeutungen, weil "Tagungsinhalte und -ergebnisse vertraulich bleiben", wie zu lesen war. Doch eine sprachliche Regelung wird nun publik gemacht in der Hoffnung, dass Institutionen und Behörden sie übernehmen.
Gegen Grenzüberschreitungen – für Verbindendes
Bei Kooperationsprojekten zwischen Sachsen, Polen und Tschechien wird regelmäßig von deren "grenzüberschreitendem" Charakter gesprochen. Davon abgesehen, dass Projekte nicht durch die Gegend schreiten, wird durch solche gedankenlosen Formulierungen immer wieder die Grenze betont – eine Grenze, die demzufolge nur fördermittelgeschmiert zu überschreiten ist.
Regelrecht übergriffig sogar wird das "Kooperationsprogramm Freistaat Sachsen – Tschechische Republik 2014-2020": Hier geht es um die Förderung der "grenzübergreifenden" Zusammenarbeit. Wie gut, möcht' man sagen, dass die Grenze existiert, denn nur unter dieser Bedingung kann Sie überschritten oder gar übergriffen werden.
Dass bei solchen Förderprogrammen – INTERREG ist nur ein Beispiel – mittlerweile eine ganze Fördermittelindustrie dahintersteht, ist ein offenes Geheimnis. Sie reicht vom eigentlichen Geldgeber über die Ausreicher, von Antragsprüfern, Antragsberatern über Evaluierer bis hin zu den häufig fast schon institutionell zu nennenden, dank Erfahrungen im Antragsprozedere professionalisierten Fördermittelabgreifern. Antragsverfahren sind häufig so kompliziert und vor allem aufwändig, dass Leute die sich engagieren wollen, resignieren. Zudem haben sich in den Kommunen und Landkreisen "Ansprechpartner" etabliert, an die Leute mit Ideen verwiesen werden – um, wie belegt werden kann, ihre Ideen dort abgenommen zu bekommen.
Gemeinsame Werte nicht durch Grenzen spalten
Der Görlitzer Anzeiger jedenfalls will künftig derartige grenzbetonende Formulierungen meiden. Wie wäre es, von Zusammenarbeit zwischen Tschechen und Deutschen zu sprechen? Von gemeinsamen Vorhaben von Polen und Deutschen? Von gemeinsamen Anliegen, gemeinsamen Zielen? Sprechen wir doch statt von einem "Grenzfluss Neiße" lieber von dem Fluss, der Sachsen und Polen verbindet!Im Gegensatz zu jenen, die Grenzen in ihrer Bedeutung wieder stärken möchten, meinen wir, dass die Binnengrenzen innerhalb des Schengenraums aus der alltäglichen Wahrnehmung verschwinden sollten. Wer nun entsetzt ist: Vielleicht hat ja beispielsweise Grenzkriminalität damit zu tun, dass überhaupt eine Grenze existiert? Wer Grenzen zwecks Kriminalitätsbekämpfung fordert, kann sich gleich das Deutschland vor dem Entstehen der Zollvereine zurückwünschen. Außerdem dürften polizeiliche Kontrollen wirksamer sein, wenn sie nicht fixiert an einer Grenze, auf die sich jeder Kriminelle einstellen kann, stattfinden.
Wir glauben an das in den letzten Jahren angesichts es Aufblühens national-primitiver Ansichten verblasste Bild vom Europa der Regionen. Entgegen dem mit der Fußball-WM 2006 und ihrem "deutschen Sommermärchen" ausgelösten nationalem Überschwang geht bei aufgeklärten Menschen die Identifikation über die Nation in dem Maße zurück, wie die Verfügbarkeit von Informationen und vor allem persönlichen Kontakten und Erfahrungen den Zugang zu bislang kaum erreichbaren Lebenseinstellungen in anderen Ländern möglich machen – es ist doch völlig egal, wo man hinkommt, bestimmte Grundwerte sind überall gleich: Die Menschen wollen in Frieden und ohne existenzielle Not leben, eine Perspektive für sich und ihre Kinder haben.
Da sind wir uns doch einig, oder?
Ihr Thomas Beier
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Ein schönes Beispiel für EU-Sprech (Download ca. 2,3MB)
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- Quelle: Thomas Beier | Fotos: © Görlitzer Anzeiger
- Erstellt am 08.06.2017 - 23:15Uhr | Zuletzt geändert am 19.02.2022 - 12:37Uhr
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