Ein Professor, die Flüchtlinge und ein Kaufhaus

Görlitz, 22. Dezember 2014. Von Thomas Beier. Vorgestern fand das Konzert zugunsten von Flüchtlingen und Asylbewerbern auf dem Schlesischen Christkindelmarkt statt - eine Ersatzlösung, weil der Eigentümer des Görlitzer Jugenstil-Kaufhauses die eigentlich dort geplante Veranstaltung überraschend abgesagt hatte. Die Absage hatte er in drastischen Worten mit seiner Ablehnung der aktuellen Flüchtlings- und Asylbewerberpolitik begründet, was eine Welle der Empörung ausgelöste. Der Görlitzer Anzeiger hatte das Thema zunächst nicht aufgegriffen, zu unglaublich schien die verwendete Wortwahl. Auf die Absage des Kaufhauseigentümers hin kam es zu spontanen Verbalangriffen in den sozialen Netzwerken, zu eiligen Presseberichten und vielen Stellungnahmen, die wohl eher dem Drang nach einer vermeintlichen political correctness geschuldet sind als sorgfältiger Überlegung – es scheint an der Zeit, die Äußerungen hintergründiger zu beleuchten.

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Es geht um die Botschaft, nicht um den Boten

Thema: Asyl in Görlitz und Umgebung

Asyl in Görlitz und Umgebung

Flüchtlinge aufzunehmen gebietet nicht nur das Grundgesetz, sondern muss gerade für Deutsche, von denen viele im Zuge des Zweiten Weltkriegs Flucht und Vertreibung selbst erlebten, eine Selbstverständlichkeit sein. Dennoch: Unproblematisch ist das Zusammenleben mit jenen, die Asyl begehren, nicht immer. Doch wer will unterscheiden zwischen "guter Flüchtling" und "schlechter Flüchtling"? Im Zweifel für den Angeklagten, dieser Rechtsgrundsatz muss auch gegenüber dem einzelnen Flüchtling gelten.

Der Mann heißt Winfried Stöcker, ist Professor und ein international erfolgreicher Unternehmer, mit Mitarbeitern sprichwörtlich aus aller Herren Länder. Ein Selfmade-Man, einst mit seinen Eltern aus der "DDR" in die alte Bundesrepublik gekommen, "abgehaun", wie man das im Osten nannte. Das konkrete Fluchtmotiv der Unternehmerfamilie ist unbekannt, waren es politische Gründe oder staatliche Verfolgung, war es die Sehnsucht nach mehr Wohlstand und Reisefreiheit, die die meisten "DDR"-Flüchtlinge getrieben haben dürfte, oder war es der Drang zur Selbstverwirklichung? Zu vermuten ist: von allem etwas. Fakt ist, dass Stöcker in der alten Bundesrepublik die Rahmenbedingungen dafür fand, eine erfolgreiche berufliche Existenz zu begründen und damit auch Gutes zu leisten, wie es in der früheren Sowjetischen Besatzungszone nie möglich gewesen wäre.

Genau diese Chance auf ein sinnerfülltes Leben in Sicherheit - auf dem Mindestniveau europäischen Wohlstands - stellt Stöcker jedoch bei Flüchtlingen aus Afrika und Nahost in Frage und begründet das auch: Das Geld, das man für Flüchtlinge in Europa ausgibt, sei in deren Heimatländern besser angelegt. Die Flüchtlinge sollten sich in ihren Herkunftsländern für ein besseres Leben einsetzen und sich gegen Tyrannen wehren, so Stöcker sinngemäß. Mit seinem Unternehmen will er selbst Beispiel sein, wie vor Ort Entwicklung und damit Kultur und Wohlstand befördert werden können.

An dieser Stelle darf die Diskussion nicht auf die Kritik an Stöckers höchst unsensibler Wortwahl einerseits und den Beifall tumber rechtslastiger Kreise andererseits reduziert werden (Stöcker hat sich im vom MDR am 20. Dezember gezeigten ARD-Interview klar von PEGIDA und rechter Gesinnung abgegrenzt). Es geht nicht um den Boten, es geht um die Botschaft.

Wer Stöckers Botschaft analysiert, wird schnell zur Frage kommen, warum nach Jahrzehnten von Entwicklungshilfe, in denen Entwicklungshilfeorganisationen Milliardenbeträge verbraucht haben, afrikanische Länder sich noch immer nicht selbst ernähren können, warum die mächtigen westlichen Staaten zulassen, dass viele Länder einfach nur schlecht regiert werden. Und zur Frage, wieso in Görlitz auf einem von einer stadteigenen Gesellschaft organisierten Weihnachtsmarkt Gottesdienste abgehalten werden, von den historisch begründeten Absonderlichkeiten der Kirchenfinanzierung durch staatliche Subventionen und der christlichen Wohlfahrtsindustrie im laizistischen Deutschland ganz abgesehen.

Hinterfragt werden muss ebenso die Beschleunigung der Segregation in Deutschland, die zur Bildung einer zunehmend verblödenden und sich selbst reproduzierenden Unterschicht geführt hat. Und hinterfragt werden müssen die Bürokratie und die soziale Gängelei in Deutschland, die eine Wohlstandssicherheit suggerieren, im Grunde aber – Stichwort kleinere und mittlere Unternehmen – den Quellen des Wohlstands das Wasser abgraben. In Deutschland hätte der Gewerbeaufsicht wohl schon die Arbeitsstättenverordnung ausgereicht, um einem Bill Gates frühzeitig den Garaus zu machen.

Wenn heute in Deutschland nach ausländischen Fachkräften Ausschau gehalten wird, dann ist das in international übliches Verhalten: In vielen hochspezialisierten Bereichen der Kultur, der Wissenschaft und der Wirtschaft sind wir tatsächlich längst "one world". Wenn wir aber glauben, einen gefühlten "Fachkräftemangel" durch die Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer mildern zu können, dann ist das grundsätzlich der falsche Weg: Zum einen betrügen wir die Staaten, aus denen diese Leute kommen, um die erbrachte Bildungsleistung (brain drain), andererseits geht genau diese Ausbildung den Menschen in Deutschland verloren. Wenn Stöcker im ARD-Interview sagt "Macht vor Ort etwas Vernünftiges!", dann gilt das nicht nur in den Herkunftsländern der Flüchtlinge, sondern auch - wenn auch unter anderen Voraussetzungen - in Deutschland selbst.

Wie die Konstellationen auch sein mögen: Für die in Görlitz und ganz Deutschland ankommenden Flüchtlinge gilt ein "Herzlich willkommen!", denn die hier angerissenen komplexen Fragestellungen können nicht zu Lasten des Einzelnen gelöst werden. Das Görlitzer Willkommensbündnis ist dafür das richtige Zeichen.

Und das Kaufhaus-Projekt?

In Görlitz sind viele Hoffnungen für die Wiederbelebung des geschlossenen Jugendstil-Kaufhauses aufgekeimt, nachdem Stöcker dieses im Juni 2013 erworben hatte. Nach seinen Äußerungen über Asylbewerber gibt es nun Stimmen, die Folgen auch für das Kaufhausprojekt sehen.

All das ist reine Spekulation, aber wer sich genauer ansieht, was über die angedachte Wiederbelebung des Kaufhauses bislang bekannt geworden ist, muss an die eierlegende Wollmilchsau denken: Ein Haus, das von allem etwas bietet und sich an nahezu alle Käuferschichten wendet. Von hochwertiger Qualität und guten, bezahlbaren Produkten ist auf der Kaufhaus-Webseite die Rede, von Lebensmitteln und Bekleidung, hervorragender Gastronomie, Veranstaltungen und anderem mehr.

Das klingt eher nach dem Ergebnis eines Wünsch-Dir-was-Brainstormings als nach dem Konzept eines erfahrenen Kaufhaus-Managers. Hochwertiges zu bezahlbaren Preisen suggeriert die Quadratur des Kreises, die Macht der Markenartikler scheint außen vor, ein "Kaufhaus der Oberlausitz" ist bei aller Heimatliebe ein marketingtechnischer Missgriff, warum wird der frech-frische Gegenpol "Kaufhaus des Ostens" mit entsprechendem Sortiment von der russischen Pelzmütze bis zu Herrnhuter Sternen gescheut?

Mich würde es nicht wundern, wenn Stöcker die Gelegenheit nutzt, mit seinem Kaufhausprojekt ein Salto rückwärts zu zeigen.

Kommentare Lesermeinungen (5)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Kaufhaus-Projekt

Von Lange am 02.12.2020 - 18:54Uhr
Liebe Görlitzer,

seid doch bitte bitte nicht so eng und stur.

Denkt daran, Ihr wolltet mal Kulturhauptstadt werden. Der Herr Prof. Stöcker hat es überhaupt nicht nötig sein Geld unbedingt auch in Görlitz zu verstreuten. Er ist ein Görlitzer, hat seine Wurzel in dieser Stadt.

Er ist ein realistischer Visionär und tut der Stadt sicher gut. Also habt Euch nicht so "zickig" und unterstützt diesen Mann und schmeißt im keine Knüppel zwischen die Beine. Es ist nur ein Gewinn für die östliche Stadt Deutschlands.

Hausrecht im Kaufhaus

Von Vadim Szelesny am 24.12.2014 - 11:54Uhr
Auch mir passt die Meinung des Herrn Stöcker nicht. Aber er kann nun mal bestimmen was in seinem Haus passiert und was nicht! Das hat jeder zu achten.

Die Rufmordkampagne, die einige selbsternannte Toleranzhüter gestartet haben, ist mehr als nur unschön. Sie zeigt, dass diese (...), die so tun als ob sie alle Toleranz und Nächstenliebe gepachtet hätten, selbst die intolerantesten (...) sind!

Anmerkung der Redaktion:
Wir sind wieder auf der Gratwanderung zwischen Meinungsfreiheit und Niveau. Genauer: Meinungsfreiheit bedeutet in unseren Augen nicht, dass jeder, der gerademal eine Meinung hat, eine Plattform geboten bekommen muss, um sie der Welt kundzutun.
Aussagen, die den Sprachmustern rechtsextremer Gesinnung, der Pegida-Argumentation oder der Fäkalsprache entlehnt sind oder diese andeuten, werden gelöscht. Löschungen kennzeichnen wir mit (...).

Kaufhaus braucht Kaufkraft aller Schichten

Von siegrun roellig am 23.12.2014 - 10:59Uhr
Wenn Herr Stöcker es schafft, die in Görlitz wohnende Kaufkraft aller Schichten in sein Haus mit einzubinden, wird er Erfolg haben. Schafft er es nicht, wird er es sehr schwer haben, überhaupt Boden unter die Füße zu bekommen. Nur so kann er die Görlitzer hinter sich wissen und mit Ihnen in die Zukunft gehen.

Ich wünsche dem Kaufhaus und ihm, dass er diesen Weg geht als ehemaliger Einheimischer. Geld ist das eine, ein friedliches Miteinander trägt aber beständiger in die Zukunft.

Es muss Ruhe einkehren

Von Bertram Oertel am 23.12.2014 - 09:20Uhr
Der vorstehende Kommentar von Thomas Beier hebt sich wohltuend und sachlich von den teilweise schon bösartig unterstellenden Hasskommentaren speziell in den sozialen Medien ab. Der eigentlich medienscheue Professor wurde durch ein eigenmächtiges Vorbreschen seines Kaufhausteams vor eine plötzliche Entscheidung gestellt, eine Entscheidung, die jeder Hauseigentümer öfters fällen muss, wenn ihm der Nachwuchs plötzlich eine Party ins Haus beschert. Der Hausherr will grundsätzlich vorher gefragt werden, ob und mit welchen Gästen er überhaupt eine Party will. Prof. Stöcker wollte im Haus generell keine Party mehr, bevor es grundsätzlich nicht mit der Sanierung weiter gehen kann.

Die Begründung der Ablehnung war etwas holprig, etwas ungeschliffen und vor allen Dingen nach Prof. Stöckers eigenen Worten etwas stark verkürzt. Hierdurch kam es zu weiteren Erklärungsversuchen und neuerlichen Missverständnissen. Aber der Herr Professor hat ein Problem angeschnitten, was eigentlich jeder Arzt auch versucht: Er hat versucht, nach den Ursachen der Krankheit, sprich nach den Ursachen der Flüchtlingsnot zu fragen. Es nützt nichts, einem Kranken nur Bettruhe und gute Pflege zu geben, solange die Ursache einer Krankheit nicht behandelt wird. Und Prof Stöcker nannte eine Ursache, die im obigen Kommentar noch etwas näher erläutert wurde, die verfehlte Entwicklungspolitik, noch weitere Ursachen kommen da hinzu.

Willkommensbündnisse sind schön und gut, so, wie eine Wärmflasche dem Kranken gut tut, mehr aber nicht. Die Politik muss endlich aufhören, nur auf Versäumnisse zu reagieren. Sie muss wieder, auch wenn es unbequem wird, agieren. Agieren zusammen mit den EU Partnern um Not, Elend und Kriege in den ärmsten Ländern zu beenden.

Vielleicht helfen die missverständlichen Äußerungen Prof. Stöckers am Ende doch noch, hier ein Aufwachen und Besinnen zu erreichen.

Und für Görlitz wünsche ich, dass Prof. Stöcker, trotz der teils unsachlichen, teils hasserfüllten, aber meist unverständlichen Reaktionen auf seine Partyablehnung, weiter an seinem/unserem Kaufhausprojekt festhält.

Kaufhaus Görlitz

Von Reuschel am 22.12.2014 - 20:27Uhr
Es steht mir nicht zu, ein Kaufhauskonzept zu bewerten und denke, dass Wunschdenken immer am Anfang einer Hoffnung steht. Wenn die Görlitzer nebst Nachbarn den Lohn bekommen, den sich ein Investor aus Lübeck wünscht, kann das auch gut gehen.

Die entscheidende Frage wird aber sein, ob sich der Investor auch dann seriös verhält, wenn es Anfangsschwierigkeiten gibt oder wenn es nach einem guten Beginn plötzlich und unerwartet abwärts geht? In solch einer Situation bin ich mir nur sicher, dass die Mitarbeiter um ihren Job kämpfen.

Aus diesen Erwägungen wünsche ich meiner Heimatstadt nur das Beste und einen Investor, der auch eventuell notwendige Korrekturen mitträgt, die möglicherweise erst längerfristig gewinnträchtig sind, denn Leben kann und wird das Haus auch künftig nur von der Kaufkraft, dem Willen und der Herzensbindung der Bürger zu Ihrem Kaufhaus!

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  • Quelle: Thomas Beier
  • Erstellt am 22.12.2014 - 09:45Uhr | Zuletzt geändert am 23.04.2021 - 06:46Uhr
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