Siemens Görlitz: aus

München | Görlitz, 16. November 2017. Von Thomas Beier. Der Siemens-Konzern konsolidiert seine Sparten Divisionen Power and Gas (PG), Power Generation Services (PS) und Process Industries and Drives (PD). Für das moderne Görlitzer Turbinenwerk bedeutet das über kurz oder lang das Aus. Das würde heute in München bekannt. "Die Einschnitte sind notwendig, um unser Know-how bei der Kraftwerkstechnologie, bei Generatoren und bei großen elektrischen Motoren nachhaltig wettbewerbsfähig halten zu können. Das ist das Ziel unserer Maßnahmen. Das wird uns aber nur gelingen, wenn wir Antworten auf die weltweiten Überkapazitäten und den dadurch ausgelösten Preisdruck finden", erläuterte Janina Kugel, Arbeitsdirektorin und Vorstandsmitglied der Siemens AG. Man wolle diese Maßnahmen sorgfältig, umsichtig und langfristig anlegen.

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Anti-Kohle-Allianz als weiteres Zeichen für den Wandel

Siemens will im Wandel der Märkte und im Zuge der Digitalisierung seine weltweite Marktfähigkeit weiter verbessern. Dass ausgerechnet heute auch die von Kanada und Großbritannien geführte Anti-Kohle-Allianz von 18 Staaten, auf dem Bonner Weltklimagipfel ohne deutsche Beteiligung gegründet, bekannt wurde, zeigt, dass Siemens nicht nur vorausschauend handelt, sondern zugleich von der internationalen Abkehr von fossilen Brennstoffen getrieben wird.

Katastrophe für Görlitz und den Landkreis

Soweit die großen Rahmenbedingungen. Für das abgelegene Görlitz wäre die komplette die Schließung eines der beiden verbliebenen Industriestandorte – der andere ist das Bombardier-Werk – eine Katastrophe. Vermutlich würden wieder mehr jüngere Familien ihre Koffer packen und ihr Glück in der Fremde versuchen. Handel und Dienstleistungsbetriebe würden die sinkende Kaufkraft unmittelbar zu spüren bekommen. Und so mancher Siemensianer, der an eine Lebensstellung glaubte, muss sich nun vielleicht überlegen, wie das mit der Finanzierung privater Verpflichtungen weitergehen soll. Ebenso trifft es Zulieferer von von Siemens beauftragte Dienstleister.

So reagiert die Lokalpolitik

Der Görlitzer Oberbürgermeister Siegfried Deinege (parteilos) und der Görlitzer Landrat Bernd Lange (CDU) zeigen sich enttäuscht, wollen aber nicht kleinbeigeben. Gemeinsam mit dem Landtagsabgeordneten Octavian Ursu (CDU) fordern sie, Bundesregierung wie auch Staatsregierung sollen "ein eindeutiges Bekenntnis der Siemens-Konzernleitung zum Erhalt des Standortes Görlitz sowie aller deutschen Standorte einfordern", sie mahnen Transparenz und wirtschaftliche Beratung und Expertise an. Nun ist Siemens aber kein kreisgeleiteter Volkseigener Betrieb und als außenstehende Politiker "wirtschaftliche Beratung und Expertise" für das Siemens-Management anzumahnen, naja.

Hier prallen vielmehr zwei grundlegende Denkweisen aufeinander: Entweder sich der Veränderung zu stellen und sich anzupassen – das macht Siemens, indem sich der Konzern als digitales Unternehmen neu erfindet – oder die andere Denkweise, die orientiert sich viel stärker am Erhalt des Status, wie es das "Positionspapier für die Lausitz", unterschrieben von Lausitzer Landräten und dem Cottbusser Oberbürgermeister, dokumentiert. Dort wird gar gefordert, Umweltgesetze befristet außer Kraft zu setzen oder abzuschwächen. Von Digitalisierung allerdings findet sich – außer der Forderung nach schnellem Internet – nichts.

"Ferner sollen sich Bund und Land bei der Mitgestaltung eines tragfähigen und nachhaltigen Konzeptes zum Erhalt des Kompetenzzentrums Görlitz und einer Fixierung von Maßnahmen für eine positive Weiterentwicklung in der Zukunft einbringen", heißt es in einer gemeinsamen Presseerklärung von Landrat Lange und Oberbürgermeister Deinege, die am heutigen späten Nachmittag herausgegeben wurde. Diesen Satz muss man sich mal richtig auf der Zunge zergehen lassen.

Und bei Siemens? Am 15. Dezember 2017 werden Vertreter des Siemens-Vorstandes über die nächsten Schritte der Digitalisierungs- und Innovationsstrategie des Konzerns informieren. Dabei soll anhand konkreter Beispiele erläutert werden, wie die digitale Transformation von Siemens voranschreitet. Anders gesagt: wie der Laden zukunftsrobust gemacht wird.

Was in Görlitz zu tun ist

Wie Industrieruinen entstehen, da hat Ostsachsen reichlich Erfahrung. Auf dieser Basis sollte für den traditionsreichen Maschinenbaustandort eine bessere Lösung gefunden werden.

Das sind die Fragen und Schritte:
  • Können für Siemens geänderte Rahmenbedingungen geschaffen werden, unter denen der Standort weiterbetrieben werden kann?
  • Wenn geschlossen wird: Wie sind die Zeithorizonte?
  • Gibt es Möglichkeiten, Unternehmen auszugeründen?
  • Wie bewerten andere Industrie- und Engineeringunternehmen aus Sachsen sowie der gesamten Lausitz den Standort?
  • Welche Cluster sind in der regionalen Wirtschaftsstruktur nicht besetzt?

Wenn der erste Schock und die Wut überwunden sind, muss ein rationaler Überlegungsprozess zur Entwicklung des jetzigen Görlitzer Siemensstandortes einsetzen. Veränderung ist anstrengend, aber die einzige Quelle für neue Chancen.

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Siemens Görlitz: aus

Von Christian Reichardt am 18.11.2017 - 13:35Uhr
Sehr geehrter Herr Beier,

Sie haben den Nagel, wieder einmal, auf den Kopf getroffen.

Unser Unternehmerverband fordert dieses analytische Denken, insbesondere die Umsetzung konkreter seit 20 Jahren überfälliger Maßnahmen zur Verbesserung des Wirtschaftsstandortes gebetsmühlenartig von der regionalen Politik ein (massives Breitband als selbstverständliche Datenautobahn, attraktive Ansiedlungsflächen, Bahn- und LKW-Erreichbarkeit, Gewerbesteuersenkungen uvm.).

Außer "es geht nicht, wir können nicht" gibt es keinerlei konstruktive Reaktionen, allenfalls Lippenbekenntnisse. Anstatt, was legitim und teilweise (siehe Infrastruktur Bahn, Datenkapazitäten, Straßen) auch angezeigt ist, nach Maßnahmen des Bundes und des Freistaates zu rufen, ist es umso wichtiger, seine eignen Hausaufgaben zu machen.

Gute Rahmenbedingungen schaffen Gewerbeansiedlungen, diese schaffen qualifizierte Arbeitsplätze, diese halten die Menschen in der Region und ziehen Menschen an.

Mit freundlichen Grüßen

C. Reichardt
Stellv. Vorsitzender
Allg. Unternehmerverband Görlitz und Umgebung – Gewerbeverein zu Görlitz 1830 e.V.

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  • Quelle: Thomas Beier | Fotos: Matthias Wehnert
  • Erstellt am 16.11.2017 - 17:50Uhr | Zuletzt geändert am 18.11.2017 - 21:05Uhr
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