Wahlkampf auf Kosten der Bürger in Hagenwerder

Görlitz. Laut Birgit Weber, Leiterin der Stabsstelle Flut in Landratsamt Görlitz, darf die Stadt Görlitz "die alten Gebäude in Hagenwerder" sanieren, wenn sie will. So steht es am 19. April 2012 in der Sächsischen Zeitung. Was sie gesagt habe, sei "gesicherte Aussage" und in Bezug auf ein Schreiben, aus dem Oberbürgermeister Paulick zitiert hatte, ist zu lesen: "Doch egal, was da steht und was der OB sagt: Das Schreiben ist nicht ganz aktuell." Darf, um einen parteifreundlichen Kandidaten unter die Arme zu greifen, die schriftliche Feststellung einer Behörde mit wenigen Worten vom Tisch gewischt werden? Das besagte Schreiben, in dem die gleiche Birgit Weber im Namen des Landratsamtes Görlitz einen Wiederaufbau nur an einem Ersatzstandort zulässt, liegt dem Görlitzer Anzeiger vor. Nun muss gefragt werden: Macht Siegfried Deinege Wahlkampf auf Kosten der Bürger von Hagenwerder? Die wehren sich bereits mit einem Brief (Download siehe unten) des Interessenvereins "Wohnpark Hagenwerder" e.V. vom 19. April 2012 an im Görlitzer Stadtrat vertretene Gruppierungen: "... ausgehend von der heutigen Berichterstattung (19.04.2012) der Sächsischen Zeitung müssen wir tief enttäuscht zur Kenntnis nehmen, wie Sie auf unsere Kosten, den Bürgern von Hagenwerder, einen Wahlkampf betreiben, dem jedes Mittel recht ist - Hauptsache der amtierende Oberbürgermeister wird abgewählt."

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Klares Bauverbot erteilt

Thema: Oberbürgermeisterwahl Görlitz

Oberbürgermeisterwahl Görlitz

Am 26. Mai 2019 wird in Görlitz im ersten Wahlgang über einen neuen Oberbürgermeister resp. eine neue Oberbürgermeisterin abgestimmt. Amtsinhaber Siegfried Deinege tritt nicht noch einmal an.

Der oben stehende Ausschnitt auszugsweise noch einmal im Klartext: "Nach Prüfung der gemeldeten Einzelmaßnahmen für das Sportzentrum Hagenwerder, das Gemeindezentrum Hagenwerder sowie der Sporthalle „Am Hirschwinkel“ muss festgestellt werden, dass sich diese Objekte innerhalb eines festgesetzten Überschwemmungsgebietes befinden. Nicht zuletzt bestätigen die an allen Objekten im August und September 2010 eingetretenen Schäden diese Einschätzung. Entsprechend der gültigen gesetzlichen Regelungen gilt für diese Gebiete ein Bauverbot. Darüberhinaus unterliegt auch die wesentliche Änderung einer baulichen Anlage diesem Verbot. … Insoweit bitten wir Sie, die von Ihnen gemeldeten Einzelmaßnahmen dahingehend zu überarbeiten, dass für den Wiederaufbau der geschädigten Objekte nur eine Lösung am Ersatzstandort für eine Realisierung möglich sein wird." Ferner heißt es in dem Schreiben wörtlich: "Darüber weisen wir die Stadt Görlitz ebenfalls vorsorglich darauf hin ihren Anpassungspflichten aus § 1 Abs. 4 Baugesetzbuch (BauGB) nachzukommen. Hierfür ist eine entsprechende Bauleitplanung für die betroffenen Bereiche innerhalb der Stadt Görlitz und ihrer Ortsteile vorzunehmen mit dem Ziel weitere Bebauung in Überschwemmungsgebieten auszuschließen.“ Punkt, aus, Ende der Durchsage.

Paulick bezeichnet Vorgänge als "verwerflich"

Das gegenüber der Stadt Görlitz im Namen des Landratsamtes durch Weber ausgesprochene Bauverbot lässt an Deutlichkeit nichts missen. Nach gründlicher Abwägung auch durch den Görlitzer Stadtrat hat es keine andere Entscheidung zugelassen, als auf den Neubau - und eben nicht die Sanierung - des flutgeschädigten Gemeindezentrums von Hagenwerder zu setzen.

Für den Görlitzer Oberbürgermeister Joachim Paulick ist das Spiel von Deinege und Weber nicht nachvollziehbar. "Ist heute der 1. April oder gehört das zum Wahlkampf? Welche Rollen spielen dabei der Landkreis und Frau Weber?“, fragt Paulick. Erst jüngst war er selbst im Görlitzer Ortsteil Hagenwerder/Tauchritz mit Aussagen des OB-Mitbewerbers Deinege und von Weber konfrontiert worden, die sich in einer Wahlveranstaltung vor Ort offensichtlich dahingehend geäußert hatten, dass eine Sanierung des flutgeschädigten Gemeindezentrums möglich wäre. "Es ist bedauerlich, wenn Frau Weber den Inhalt ihres eigens verfassten Schreibens nicht kennt oder sich an diesen nicht erinnert. Zudem ist verwerflich, die Stimmung in unserem südlichen Ortsteil gegen bereits gefasste Stadtratsbeschlüsse zum jetzigen Zeitpunkt wider besseren Wissens zu schüren. Ich verstehe dies als bewusste Manipulation!“, macht Oberbürgermeister Paulick seine Sicht deutlich.

Deineges Position kollidiert mit Bekanntmachung des Sächsischen Landtages

Mit Ihrer Position in Sachen Wiederaufbau in Hagenwerder richten sich Deinege und Weber auch gegen eine "Bekanntmachung des Sächsischen Landtags über den Abschluss zu einer Massenpetition" vom 8. Dezember 2011. In der im Sächsischen Amtsblatt Nr. 52 vom 29. Dezember 2011 veröffentlichten Bekanntmachung ist zu lesen: "Bei einer Sanierung kann die Einhaltung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nach Einschätzung des Innenministeriums nicht gewährleistet werden. Für die Menschen, insbesondere für die Kinder in der Tageseinrichtung sollen immer wiederkehrende Hochwassergefahren verhindert werden. … Darüber hinaus steht einer Sanierung am bisherigen Standort das Gebot des sparsamen und wirtschaftlichen Einsatzes öffentlicher Mittel entgegen, da eine Sanierung sowohl Stadt als auch Landkreis unverhältnismäßig belasten würde; entsprechend helfen auch aus öffentlichen Mitteln gespeiste Förderprogramme nicht weiter. … Eine umfangreiche Sanierung des Gemeindezentrums mit öffentlichen Mitteln am bisherigen Standort ist auf Grund der Gefahr erneuter Hochwasserschäden wirtschaftlich nicht vertretbar und widerspräche den Haushaltsgrundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Das Vorhaben der Stadt Görlitz, das Gemeindezentrum in Hagenwerder an anderer Stelle neu zu errichten, ist aus Sicht der Staatsregierung nicht zu beanstanden.“

Die Stadt Görlitz weist übrigens darauf hin, dass ihr von einer offiziellen Anfrage der Sächsischen Zeitung zum Thema Sanierung kontra Ersatzneubau nichts bekannt ist.


Download!
Brief aus Hagenwerder vom 19. April 2012, ca. 357KB



Kommentar

Wahlkampf - kurz vor der Entscheidung schlagen die Wellen hoch. Das müssen Wahlkämpfer aushalten. Aber alles hat seine Grenzen.

Besonders auf kommunaler Ebene - man könnte auch sagen, je kleiner die Kommune - haben weniger die strammen Parteisoldaten das Sagen, sondern vielmehr engagierte Bürger, ganz gleich, aus welcher Ecke des demokratischen Spektrums sie kommen.

Wer heute denkt, nur die C-Partei mit den fetten roten Buchstaben könne was bewegen, sei an 1990 erinnert: So ähnlich, wie es heute in Görlitz einen Parteienblock gibt, gab es damals eine "Allianz für Deutschland", die sich als einzige Alternative präsentierte und damit jedes kluge Nachdenken als Zögerlichkeit diskreditierte. Das Ergebnis zeigt sich heute in den in unserer Heimat besonders heftigen demografischen Verwerfungen.

Schlimmer noch, was sich ganz aktuell in Görlitz abspielt: Am liebsten würde die Siegfried-Deinege-Fraktion wohl die Vergangenheit korrigieren und den Brief von Birgit Weber als nie geschrieben verkaufen. Holen sie doch mal wieder George Orwells "1984" aus der Bücherkiste, da gab es ein "Ministerium für Wahrheit", das pausenlos damit beschäftigt war, die Vergangenheit zu korrigieren. Übrigens könnte das ein nettes Aufgabengebiet für eine Zeitung sein.

Warum nur kriegt es der Siegfried Deinege, am Schmiedefeuer gehärtet, nicht hin, mal zu sagen: "Da habe ich einen Fehler gemacht!" - die Diskussionen um SED-Karriere und Schießbereitschaft in der Kampfgruppe wären längst ebenso aus der Welt wie die aktuelle um das falsche Versprechen, das flutgeschädigte Sportzentrum wie das Gemeindezentrum sanieren zu können. So aber wird um jeden Preis versucht, eine polierte Oberfläche zu erhalten, aalglatt.

"Erst einmal an die Macht, egal wie, dann werden wir schon weiter sehen" taugt nicht für die Führung einer Stadt. Gefragt ist Kontimuität, Schritt für Schritt vorwärts kommen. Wer den großen Sprung verspricht, landet im günstigsten Fall auf dem Hintern und reißt im ungünstigeren Fall vieles wieder ein.

Der Oberbürgermeister muss den Stadtrat leiten, den Räten ihren Willen und sie auch mal bocken lassen, sie loben und zur Disziplin mahnen, sie ihre Lieblingsthemen spielen lassen und immer wieder darauf achten, dass die übergreifenden Interessen gewahrt bleiben. Ohne das Bild weiter auszumalen ist doch sogar ein pädagogischer Anspruch erkennbar!

Spaß beiseite: Der Oberbürgermeister wird nicht vom Stadtrat oder von Parteien gewählt, sondern von den Wählerinnen und Wählern, den Bürgern dieser Stadt. Und er ist nicht den Stadträten und Parteien verpflichtet, sondern seiner Stadt und Ihren Bürgern.

Damit ist die Wahl des Görlitzer Oberbürgermeisters eine Entscheidung, die das Leben und die Lebensqualität des Einzelnen durchaus berührt.

Wäre die Oberbürgermeisterwahl eine Geldanlage, wem würden Sie Ihr Geld anvertrauen: Einer "sicheren Bank", die einen gesunden Haushalt hat und wo sich Ihr Geld stetig Münze um Münze vermehrt - oder einem Branchenneuling, der alles verspricht, was Sie nur hören wollen?

Wählen Sie klug, sieben Jahre sind eine lange Zeit,

die Ihr alter Fritz R. Stänker schon bald zehn Mal hinter sich hat.

Kommentare Lesermeinungen (1)
Lesermeinungen geben nicht unbedingt die Auffassung der Redaktion, sondern die persönliche Auffassung der Verfasser wieder. Die Redaktion behält sich das Recht zu sinnwahrender Kürzung vor.

Zur SZ-Veröffentlichung "Neue Pläne für Kita in Hagenwerder"

Von Harald Twupack am 21.04.2012 - 13:52Uhr
In der SZ Ausgabe vom 19. April 2012 "Neue Pläne für Kita Hagenwerder" beleuchtet Herr Kramer die Aussagen der OB-Kandidaten zum Wenn und Aber von Sanierung und Neubau der hochwassergeschädigten Einrichtungen am Standort Hagenwerder.

Als Görlitzer Bürger und Stadtrat bin ich schon sehr verwundert, wie man mit meiner Freizeit umgeht. Ich selbst habe an sieben Sitzungen und Veranstaltungen speziell zum Thema Sanierung bzw. Standorte der Ersatzneubauten teilgenommen.

Beim Ortschaftsrat Hagenwerder war ich 2-mal zu Gast, habe mich im Gespräch und augenscheinlich über das Pro und Kontra eines Ersatzneubaus und den drei Standortvarianten aus Sicht der Hagenwerderaner informieren dürfen und bin der Meinung, dass wir nun mehr unter Beteiligung Aller auf einem guten Weg sind, gleichwohl uns die geschädigten Objekte am Herzen liegen. Ob das Betreiben einer sanierten Kindertagesstätte in einem hochwassergefährdeten Gebiet möglich ist, werden die verantwortlichen Ämter prüfen.

Aber: bei der SZ-Veröffentlichung zum gestrigen Zeitpunkt gibt es drei Verlierer:

1.
Herrn Paulick nebst Stadtverwaltung - die in die „Pfanne“ gehauen werden, da er/sie die Planung erarbeitet und Auflagen aus dem erweiterten Hochwasserschutzes umzusetzen haben.

2.
Herr Deinege, dessen Glaubwürdigkeit in diesem Fall in Abhängigkeit von Genehmigungen des Landratsamtes stehen wird,

3.
und die Bürger von Hagenwerder, auf deren Rücken vor der OB-Wahl Begehrlichkeiten geweckt werden, die zumindest nach der Wahl eine Zurücknahme des Stadtratsbeschlusses erfordern.

Aus meiner Sicht wäre Herr Kramer gut beraten gewesen, wenn er dieses Thema nach der OB-Wahl aufgegriffen hätte, um nicht unnötig Emotionen zu wecken.

Harald Twupack
02826 Görlitz

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  • Quelle: Fritz R. Stänker
  • Erstellt am 19.04.2012 - 17:12Uhr | Zuletzt geändert am 20.04.2012 - 05:09Uhr
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